Kommt es jetzt zu Neuwahlen oder g'frettet sich die Koalition mit teils neuem Personal weiter bis ins Jahr 2018? In der ÖVP mehren sich die Stimmen für einen vorgezogenen Urnengang, wenngleich sich weder die tonangebenden Funktionäre noch der präsumptive neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz vorerst aus der Deckung wagen. Aber Kärntens ÖVP-Chef Christian Benger wünscht sich Neuwahlen. Die Chefin der ÖVP-Frauen, Dorothea Schittenhelm wünscht sich Neuwahlen. Und die ÖVP Burgenalnd wünscht sich Neuwahlen. Und unter der Hand meinen auch viele andere ÖVP-Funktionäre, dass mit der SPÖ kein Neuanfang mehr möglich sei bzw. Kurz bei einem Scheitern Schaden nehmen würde.
Unterstützung kam für Kurz auch von den Landeschefs seiner Partei. Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter erklärte in einer akkordierten Stellungnahme mit seinen Amtskollegen aus der Volkspartei, man sei einig, dass der Außenminister auch in Zukunft eine zentrale Rolle in der Partei spielen solle. Welche dies sei, werde man am Sonntag in den Gremien beraten. Gleichzeitig betonte Platter bei seinem Statement vor Beginn der Landeshauptleute-Konferenz in Alpbach, man sei der Meinung, dass die Menschen von Streit und Attacken und auch von dieser Regierung die Nase voll hätten. Gleichzeitig wurde das Angebot von SPÖ-Chef Christian Kern, eine Reformpartnerschaft einzugehen, de facto zurückgewiesen. Platter meinte, man glaube, es handle sich um keine ehrliche Reformpartnerschaft.
Neu gewählt werden könnte frühestens im Herbst. Weitere Termine wären das Frühjahr 2018 oder der Herbst des kommenden Jahres. Letzterer wäre der turnusmäßige Termin, er fällt allerdings mitten in die EU-Präsidentschaft Österreichs. Und im Frühjahr finden schon vier Landtagswahlen statt (Tirol, Kärnten, Niederösterreich und Salzburg). Der Herbst scheint also wahrscheinlich.
OGM-Chef Wolfgang Bachmayer geht davon aus, dass Kurz Interesse an einem kurzen Wahlkampf hat. "Je länger es dauert, desto mehr Gefahren könnten entstehen. Ich rechne mit einer schnellen Entscheidung und einem raschen Neuwahltermin im September oder Oktober."
"Auch Länder wollen Neuwahlen"
Die Bundesländer, die kommendes Jahr wählen, wollten dies ebenfalls. "Die fürchten wie der Teufel das Weihwasser, dass sie für dieses entsetzliche Bild der Regierung abgestraft werden." Und auch Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) müsse letztlich an Wahlen vor den Landtagswahlen im Frühjahr 2018 interessiert sein. Das zu erwartende schlechte Abschneiden der SPÖ bei den Landtagswahlen würde dem Parteichef nämlich den schlechten Zustand der SPÖ bescheinigen.
Auch der Politikberater Thomas Hofer hält baldige Neuwahlen für ein realistisches Szenario. Alle anderen Varianten wären für Kurz im Falle einer Übernahme der ÖVP "nicht besonders prickelnd". Wenn er als ÖVP-Obmann und Vizekanzler die Regierung mit Kanzler Kern weiterführt, bringe ihn das "in keine gute Position". Sollte vorübergehend ein anderer ÖVP-Politiker den Posten des Vizekanzlers übernehmen, würde ihm das "wahrscheinlich eher als Feigheit ausgelegt".
Die SPÖ wartet ab und bot vorerst das Weiterarbeiten an. Weder SPÖ noch ÖVP wollen die Neuwahlen vom Zaun brechen, weil sie fürchten, vom Wähler dafür abgestraft zu werden. Kanzler Kern führt Sondierungsgespräche mit der Opposition, offenbar um die Stimmung in Bezug auf Neuwahlen auszuloten. Die Gespräche zielen aber auch darauf ab, herauszufinden, welche Oppositionsparteien für Umsetzungen aus seinem "Plan A" und dem Regierungsprogramm zu haben wären.
Alle warten jetzt darauf, innerhalb und außerhalb der Partei, dass Außenminister Sebastian Kurz die Führung der Partei übernimmt. Zum einen, weil ihnen "niemand anderer einfiele", wie es der steirische ÖVP-Chef Hermann Schützenhöfer formulierte. Zum anderen, weil "Kurz eine besondere politische Begabung ist und mittlerweile auch schon viel Erfahrung hat", wie es der oberösterreichische Landeshaputmann Thomas Stelzer im Ö1-Morgenjournal ausdrückte. Eine Ämtertrennung halten weder Stelzer noch Schützenhöfer für sinnvoll.
"Keine Generalvollmacht für Kurz"
Schützenhöfer erklärte gegenüber dem ORF, eine Generalvollmacht für Kurz werde es nicht geben, die hätten auch Bruno Kreisky (SPÖ) oder Alois Mock (ÖVP) erst gegen Ende ihrer Amtszeit von ihren Parteien erhalten.
Eine Weichenstellung sei nicht über Statuten zu erreichen ("immer wenn wir das Statut gebraucht haben, hat es in der Partei Zank und Hader gegeben") sondern Kurz müsse das auf persönlicher Ebene lösen. "Er muss das Gefühl haben, dass die Länder und Teilgliederungen mit ihm mitgehen."
Wie ein solches Commitment aussehen könnte, angesichts des Umstandes, dass innerhalb der ÖVP zuletzt jeder tat und sagte, was er will, verriet Schützenhöfer nicht. Er lasse sich jedenfalls nicht auf ein Spiel Bund gegen Länder. "Das ist kontraproduktiv."
Dass die Länder und die Bünde immer darauf bestehen, ihre Kandidaten auf den Bundes- und Landeslisten für die Nationalratswahl unterzubringen, ist übrigens keine Frage des Statuts sondern eine machtpolitische Frage. Politologe Fritz Plasser sagt dazu im Interview mit dem ORF: "Die komplexe ausbelanzierte Machtarithmetik ist überholt, davon ist Abstand zu nehmen."
Die SPÖ besteht darauf, mit der ÖVP - mit wem auch immer an der Spitze weiterregiere zu wollen. Kanzler Christian Kern im ORF-Mittagsjournal: "Ich sehe kein Problem, das durch Neuwahlen gelöst werden könnte. Keine Verkäuferin hätte dadurch einen Euro mehr im Börsel, kein Kind hätte eine bessere Schule."
Die SPÖ bot der ÖVP eine "Reformpartnerschaft" nach steirischem Vorbild an, was vom Regierungspartner als Verhöhnung empfunden wurde. Vor genau einem Jahr hatte Mitterlehner dem damals neuen Kanzler eine solche "Reformpartnerschaft" angeboten. Mit dem bekannten Ergebnis. Neuwahlen stehen also weiter im Raum. Alles hängt davon ab, wie sich der ÖVP-Parteivorstand am kommenden Sonntag positioniert.
Manche in der ÖVP plädieren für einen raschen Wechsel in allen Funktionen, wie der steirische ÖVP-PolitikerChristopher Drexler, der im Verein mit Stelzer und Kurz zur jungen Garde in der ÖVP gehört, die für eine Neupositionierung der Partei eintritt.
Andere, insbesondere Journalisten und Politikwissenschaftler, brachten Finanzminister Hans Jörg Schelling oder sogar Innenminister Wolfgang Sobotka als mögliche Zwischenlösung ins Spiel. Dies vor dem Hintergrund, dass Kurz kaum Interesse daran haben dürfte, sich neben Kern als Vize zu verbrauchen, wenn es doch nicht rasch zu Neuwahlen kommt. Zuletzt wurde auch Staatssekretär Harald Mahrer als Interims-Vize ins Spiel gebracht. Dies deshalb, weil er einerseits Kurz sehr eng verbunden ist und andererseits als bisheriger Regierungskoordinator die Regierungsarbeit und den Regierungspartner wie seine Westentasche kennt.
Genau diese Neuwahlen wünschen sich viele in der ÖVP sehnlichst herbei. auch, weil "die Roten schon seit vier Monaten im Wahlkampf" sind", wie es der Kärntner ÖVP-Chef Christian Benger formuliert.
Parteivorstand am Sonntagabend
Nach dem Rücktritt von Reinhold Mitterlehner als Bundesparteiobmann und Vizekanzler sowie Wirtschafts- und Wissenschaftsminister soll der Bundesparteivorstand am Sonntagabend über einen neuen, interimistischen Parteichef abstimmen. Der Bundesparteitag wird dann innerhalb von drei Monaten vom Generalsekretär einberufen.
Der Vorstand legt einen Vorschlag für die Funktion des Parteiobmanns vor, über den dann abgestimmt wird. Der interimistische Parteichef schlägt in weiterer Folge jemanden für die Funktionen des Vizekanzlers sowie des Wirtschafts- und Wissenschaftsministers vor - und diese Postenbesetzungen werden dann ebenfalls vom Vorstand beschlossen. Ob tags darauf auch eine Bundesparteileitung stattfindet, war zuletzt noch offen.
Parteitag innerhalb von drei Monaten
Innerhalb von drei Monaten muss dann vom Generalsekretär der Parteitag einberufen werden, bei dem der neue Parteichef gewählt wird. Spätestens also im August. Im Zuge der Vorbereitungen für den Bundesparteitag entscheidet sich der neue Obmann dann auch für seine Stellvertreter. Diese werden nicht bereits am Sonntag im Vorstand bestimmt.
Stellvertreter von Mitterlehner sind aktuell JVP-Obmann und potenzieller Nachfolger Sebastian Kurz, Klubchef Reinhold Lopatka, Europamandatarin und Bauernbündlerin Elisabeth Köstinger sowie die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Ihr Nachfolger im Innenministerium, Wolfgang Sobotka, der mit seinen scharfen Aussagen in Richtung Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) zuletzt auch bei Mitterlehner für Verärgerung gesorgt hatte, hat übrigens keinen Sitz im Parteivorstand.