Nachdem Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) den Ländern für eine Gesamteinigung ein Ultimatum mit nächstem Monat gestellt hatte und zumindest eine Sieben-gegen-Zwei-Lösung in greifbarer Nähe schien, versucht die Bundes-ÖVP, die bis dorthin zustimmungswilligen ÖVP-Länderpolitiker wieder aus der Phalanx herauszubrechen. Damit ist eine Einigung, die für Montag avisiert war, wieder in weiter Ferne.

Niederösterreichs Erwin Pröll und Oberösterreichs Josef Pühringer leisten, wie berichtet, hinhaltenden Widerstand gegen eine österreichweite Lösung für die Mindestsicherung, nachdem sie eigene, schärfere Lösungen ins Auge gefasst haben. Gestern nun nahm ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka den sich abzeichnenden Kompromiss der übrigen sieben Bundesländer zum Anlass, die Stunde Null auszurufen:

Nur bundesweite Lösung

Der Kompromiss sei kein Kompromiss, nur eine bundesweite Lösung sei akzeptabel. Die eben Oberösterreich und Niederösterreich verhindern, womit sich die Katze in den Schwanz beißt. Lopatka spielt den Ball den Landeshauptleuten zu - die müssten direkt mit Stöger verhandeln. In den ÖVP-geführten Ländern gibt es zum Teil grüne Soziallandesräte, die für den Stöger-Vorschlag Zustimmung signalisiert hatten.

Prompt kritisiert Tirols Landeshauptmann Günther Platter nun ebenfalls Stöger und seinen Lösungsvorschlag: "Grundsätzlich halte ich fest, dass ich mich vom Sozialminister nicht unter Druck setzten lasse", teilte Platter mit. Auch Salzburgs Wilfried Haslauer lässt noch offen, ob man dem Vorschlag zustimmt. In beiden Ländern sind die Soziallandesräte Grüne. Auch Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner kritisiert den Stöger-Vorschlag neuerdings als "Pfusch". Er reibt sich daran, dass der Stöger-Vorschlag die Deckelung nur als "Kann"-Bestimmung vorsehe. "Wenn es keine Lösung gibt, gehen wir unseren eigenen Weg", so Wallner. 

Schützenhöfer warnt

In der Steiermark meldete sich VP-Landeshauptmann Hermann Schützenhofer am Rande des Gemeindebundtages zu Wort: "In der Mindestsicherung gibt es ganz offensichtlich eine Einigungsspur mit sieben Ländern, es wird einen Deckel geben, den wir in der Steiermark nicht hatten." Er habe mit SP-Soziallandesrätin Doris Kampus  gesprochen, man werde vom Bund verlangen, dass alle Länder einer Lösung zustimmen, etwas anderes gehe nicht. "Ich hoffe, dass wir das hinbekommen. Wir müssen das im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich sehen." 

Was Schützenhöfer offensichtlich meint, ist, dass die 15a-Vereinbarung, die mit Ende des Jahres ausläuft und die Mindestsicherung bisher regelte, auch beinhaltet, dass der Bund die Krankenversicherungsbeiträge für die Flüchtlinge zahlt. Wenn es zu keinem Kompromiss kommt, fällt das weg. Allein auf die Steiermark fallen damit sieben bis neun Millionen Euro Belastung zurück. Schützenhöfers Äußerung kann damit auch als Mahnung an die eigene Partei verstanden werden.

Teileinigung als Kompromiss?

Oberösterreichs Soziallandesrat ein Blauer und hat das "Stöger-Ultimatum" vorsorglich abgelehnt. VP-Landeshauptmann Josef Pühringer sprach sich für eine "Teileinigung" als Kompromisslösung aus: So sollte es in der neuen Vereinbarung Bereiche geben, die die Länder selbstständig regeln, andere hingegen der Bund vorgibt. Die Höhe des Integrationsbonus gehöre in die Kompetenz der Länder, die Deckelung der Mindestsicherung sowie das Thema gemeinnützige Arbeit müsse der Bund regeln.

Bis Montag keine Lösung

Grundsätzlich sei er der Auffassung, dass zwischen einem "Mindesteinkommen aus einer 40-Stunden-Tätigkeit" und einem "aus sozialen Transfers ein ordentlich messbarer Unterschied" bestehen müsse. Daher werde auch an der seit 1. Juli in Oberösterreich in Kraft getretenen gekürzten Mindestsicherung vom maximal 520 Euro monatlich nicht gerüttelt.

Bis Montag werde jedenfalls keine Lösung gefunden sein, denn ein "Diktat" oder "Ultimatum" vom Bund sei nicht der Weg, den die Ländern gewohnt seien. Verhandlungen würden üblicherweise "auf Augenhöhe geführt", meinte Pühringer in Richtung Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) weiter.

Zustimmung aus Kärnten und dem Burgenland

Zustimmung zu Stögers Plänen kam hingegen bereits am Donnerstag aus Kärnten und vom burgenländischen Soziallandesrat Norbert Darabos (SPÖ). Darabos bekräftigte dies am Freitag, meinte jedoch, dass die Frage der Wartefrist - wie lange man in Österreich sein müsse, bis ein Anspruch auf die Mindestsicherung bestehe - für ihn noch offen ist. Hier werde man sich über das Wochenende noch etwas überlegen müssen. Burgenlands SPÖ ist in einer Koalition mit den Freiheitlichen und für diese war eine Zustimmung am Freitag keine ausgemachte Sache.

Keine Kürzungen bei Armen

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) drängt auf eine Lösung im Streit um die Mindestsicherung. Die "formale Diskussion" - ob man nun mit den Landesräten oder den Landeshauptleuten spreche - interessiere ihn "nicht besonders", es brauche eine Lösung, richtete der Kanzler Freitagvormittag dem Koalitionspartner ÖVP aus.

Es sei "entscheidend", dass es bei denjenigen, die es brauchen, "keine Einschränkungen" gebe - etwa bei Alleinerziehern oder Behinderten, die am Arbeitsmarkt nicht die entsprechenden Chancen haben, dürfe es "keine Kürzungen" geben, betonte Kern. Es gebe "intensive Gespräche" mit den Ländern und "in weiten Teilen" herrsche Konsens, nicht "am Rücken der Ärmsten" zu sparen.

Die Lopatka-ÖVP-Position:

  • Ein Deckel von 1,5 Jahren
  • sowie eine neidrigere Mindestsicherung für jene, die erst kurz im Land sind (de facto über eine Wartefrist).

Der Stöger-Vorschlag:

  • Eine Deckelung für arbeitsfähige Vollbezieher bei 1.500 Euro.
  • Flüchtlinge sollen weiter den Vollbetrag von 837 Euro bekommen, einen Teil davon, 317 Euro, aber nur, wenn sie eine
  • Integrationsvereinbarung unterschreiben und die darin vorgesehenen Maßnahmen umsetzen. Das ist Lopatka zuwenig: "Wer unterschreibt da nicht?"

Die Niederösterreich-Variante:

  • Hier soll in der Landtagssitzung am 17. November die von der ÖVP beantragte Änderung des  Landesgesetzes  beschlossen werden, mit der eine Deckelung mit 1.500 Euro eingeführt wird. Miteingerechnet wird künftig jedes Einkommen im Haushalt, in den 1.500 Euro sind auch die Wohnkosten beinhaltet. Ausnahmen gibt es für Personen, die Pflegegeld oder erhöhte Familienbeihilfe beziehen, oder die dauernd arbeitsunfähig sind.
  • Weiters gibt es künftig die "Mindestsicherung light": Personen, die in den vergangenen sechs Jahren weniger als fünf Jahre ihren Hauptwohnsitz bzw. rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich hatten, sollen künftiger weniger bekommen - was einer Art Wartezeit entspricht. Die Höhe der Leistungen soll für einen Erwachsenen bei 572,50 Euro liegen,
  • wobei darin auch ein Integrationsbonus enthalten ist, der an die Unterzeichnung einer Integrationsvereinbarung gebunden ist. Bei Verweigerung werden die Leistungen gekürzt. 

Die Oberösterreich-Lösung:

  • Seit 1. Juli ist in Oberösterreich die umstrittene Novelle der reduzierten Mindestsicherung in Kraft, die mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ im Landtag verabschiedet wurde. Betroffen von der Kürzung sind zeitlich befristete Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte. Für diese Personengruppe gibt es nur mehr 365 Euro
  • plus einen an Auflagen gebundenen Integrationsbonus von 155 - also in Summe 520 - statt wie bisher 914 Euro. Der Bonus wird zunächst ohne Bedingungen ausbezahlt. Um ihn in voller Höhe zu behalten, muss man eine Integrationsvereinbarung unterzeichnen, einen Deutschkurs sowie eine Werteschulung absolvieren und arbeitswillig sein, ansonsten wird gekürzt.
  • Abgefedert wird das Paket durch zusätzliches Geld für Alleinerziehende und eine von vier auf zwölf Monate verlängerte Wohnmöglichkeit im Grundversorgungsquartier inklusive 40 Euro Taschengeld im Monat.
  • Zudem wurde ein "Jobbonus" eingeführt, der allen Beziehern der Mindestsicherung zugutekommt.
  • Juristen gehen allerdings davon aus, dass die oberösterreichische Regelung vor dem Verfassungsgerichtshof nicht hält, da sie einer Ungleichbehandlung entspricht.

Das Steiermark-Modell:

  • Das steirische Modell wurde lange als mögliche Kompromisslösung auch bundesweit gehandelt: Die  Landesregierung hat im September beschlossen, dass bei Missbrauch in Sachen Mindestsicherung rasch Sanktionen verhängt werden können. Im ersten Schritt wird die Leistung um 25 Prozent gekürzt, wenn etwa eine Arbeit nicht angenommen wird oder ein Bezieher nicht beim AMS erscheint. Kürzungen sind in weiteren Schritten bis zu 100 Prozent möglich.
  • Sach- statt Geldleistungen sollen forciert werden, etwa bei Miete oder Betriebskosten. Der Grundbetrag beträgt 837 Euro. Für anerkannte Flüchtlinge ist eine Integrationshilfe in der Höhe von 628 Euro vorgesehen. Die Differenz zur Mindestsicherung wird in Form von Sachleistungen gewährt, vor allem bei Miet- und Energiekosten. Für anerkannte Flüchtlinge ist der Erhalt der Integrationshilfe mit Auflagen und Bedingungen verbunden wie dem Besuch von Deutsch- und Wertekursen. Bei Weigerung kommt es auch hier zu einer Reduzierung der Sozialleistung. 
  • Eine Deckelung der Leistung ist nicht vorgesehen.