Der Verfassungstag ist heuer im Schatten der Causa Schnizer gestanden. Verfassungsrichter Johannes Schnizer, der mit Interviews den Groll der FPÖ auf sich gezogen hatte, blieb dem Festakt am Freitag fern. VfGH-Präsident Gerhart Holzinger vermied es, die aktuellen Turbulenzen nach der Aufhebung der Präsidentenstichwahl anzusprechen. Minister Thomas Drozda (SPÖ) forderte allerdings mehr Transparenz.

Drozda sprach sich in seiner Rede für die Veröffentlichung von abweichenden Meinungen von Verfassungsrichtern aus. "Ich bin überzeugt davon, dass die Einführung einer Dissenting Opinion eine Diskussion über Auffassungen einzelner Mitglieder auf einer sachlicheren Basis verlaufen lassen würde", sagte Drozda. VfGH-Mitglied Schnizer hatte zuvor die Wahlaufhebung öffentlich verteidigt, der FPÖ jedoch auch vorgeworfen, die Anfechtung von langer Hand geplant zu haben.

"Urteil ist Teil des Diskurses"

Drozda forderte mehr Offenheit vom Verfassungsgerichtshof. "Eine Diskussion über Entscheidungen eines Höchstgerichts kann sich nicht auf juristische Fachkreise beschränken. Sie ist Teil des demokratischen Diskurses", so Drozda. Gerade die letzten Wochen, auch die letzten Tage hätten gezeigt, dass Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes unmittelbare demokratiepolitische Auswirkungen haben, "ob nun durch die Aufhebung von Gesetzen oder von Wahlen".

"Auslegungen immer politische Konflikte"

Holzinger wich der aktuellen Debatte aus. Er wies aber darauf hin, dass es die Aufgabe des VfGH sei, über die Einhaltung der Verfassung zu wachen. "Das bedeutet, dass Streitigkeiten über Auslegungen der Verfassung, die natürlich im Kern immer politische Konflikte sind, nicht als politische Konflikte verstanden werden", sondern als rechtliche Auseinandersetzungen betrachtet werden. Der VfGH sollte in seiner Funktion unbestritten sein und nach einem korrekten Verfahren auch ein angemessenes Maß an Akzeptanz erhalten. Das sei selbst in entwickelten Rechtsstaaten nicht immer der Fall.

VP-Nein zu Polit-Äußerungen

Aus der ÖVP kommt weiter ein Nein zum Vorschlag, im Verfassungsgerichtshof eine "Dissenting Opinion" zu ermöglichen. Alles, was nach einem Erkenntnis des Höchstgerichts eine öffentliche Diskussion befeuern könnte, sei zu vermeiden, sagte Klubobmann Reinhold Lopatka. Das habe man ja nun beim "Fall Schnizer" gesehen. "Das Rechtsinstitut der Dissenting Opinion kommt aus dem angloamerikanischen Bereich", sieht Lopatka das Prinzip, abweichende Richtermeinungen zu veröffentlichen, schwer auf Österreich umlegbar: "Bei uns betreiben die Gerichtshöfe nicht Rechtsschöpfung, hier geht es immer um den Einzelfall."

Lopatka reagierte mit seinen Aussagen explizit auch auf SPÖ-Justizminister Hannes Jarolim. Dieser hatte sich im Freitags-"Standard" erneut für eine Veröffentlichung von abweichenden Meinungen ausgesprochen und in Richtung des ÖVP-Klubobmanns wörtlich gemeint: "Lopatka redet oft über Sachen, bei denen ihm die Informationen fehlen - und das noch dazu mit einem Hang zur Boshaftigkeit."

Beim Verfassungstag wird alljährlich der "Geburtstag" der österreichischen Bundesverfassung begangen. Sie wurde am 1. Oktober 1920 von der Konstituierenden Nationalversammlung beschlossen. Für Holzinger hat Österreich mit einem auf verfassungsrechtliche Fragen spezialisierten Gericht damals weltweit Maßstäbe gesetzt. In vielen anderen Ländern seien Verfassungsgerichte nach dem Vorbild Österreichs eingerichtet worden.