Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) lässt mit scharfer Kritik an Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) aufhorchen. Kern sei ein "linker Ideologieträger", sagte Schelling der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Mittwochsausgabe), nachdem der SPÖ-Chef in einem Gastbeitrag für das konservative deutsche Blatt einen Kurswechsel in der EU-Wirtschaftspolitik gefordert hatte.
"Doppelter Salto zurück"
Schelling kann Kerns Ideen wenig abgewinnen. "Für mich sind diese Gedanken ein doppelter Salto zurück", sagte der frühere Spitzenmanager. "Die Thesen des Bundeskanzlers widersprechen in vielerlei Hinsicht der Realität." Kern fordere nämlich mehr Schulden und Umverteilung, obwohl dieser Weg in die Sackgasse führe, so Schelling mit Blick auf die Euro-Schuldenkrise. Weil fast alle Länder die Verbindlichkeiten und öffentlichen Ausgaben erhöht hätten, befänden sich die EU-Finanzminister "seit acht Jahren im beinahe permanenten Krisenmodus".
Schulden "Gift für Wohlfahrtsstaat"
Der frühere Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger betonte, dass Schulden "das Gift und nicht die Heilung für unseren Wohlfahrtsstaat" seien. Der Staat müsse sich nicht stärker, sondern weniger einmischen. Die Stärkung von Eigenverantwortung, privatem Engagement und Wettbewerbsfähigkeit führe zu Wohlstandsgewinnen, argumentierte Schelling, der diesbezüglich auch auf die umstrittenen Sozialreformen des deutschen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder verwies.
Die Wirtschaftskraft Deutschlands gehe auf die "Agenda 2010" zurück, so Schelling. Während Deutschland heute die beste Beschäftigungslage ihrer Geschichte erlebe und eine "schwarze Null" habe, sei die Arbeitslosigkeit in Österreich so hoch wie seit den 1950er Jahren nicht mehr, und es werde über neue Steuern nachgedacht, kritisierte der ÖVP-Politiker, der dem früheren ÖBB-Chef indirekt auch die unternehmerische Erfahrung absprach. Kerns Blickwinkel sei "womöglich verzerrt", weil er nicht aus der freien Wirtschaft komme, sondern "aus einer staatlich geförderten 'Privatwirtschaft'".
Kern hatte in dem am Montag veröffentlichten "FAZ"-Beitrag geschrieben, dass die EU von den Bürgern "primär als Promotor einer unfairen Modernisierung gesehen" werde und daher die öffentlichen Investitionen in der EU massiv erhöht werden müssten. Selbst die von den sozialdemokratischen Regierungschefs geforderte Verdoppelung des Juncker-Investitionsplans auf 315 Milliarden Euro "wird wohl nicht reichen".