Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) plant für September ein Treffen von EU-Regierungschefs in Wien, um weitere Fragen in der Flüchtlingsfrage zu diskutieren. Das erklärte Kern am Samstag in Berlin nach einem Treffen mit seinen Amtskollegen aus Deutschland, Slowenien, Kroatien und Bulgarien. Neben ebendiesen Ländern soll auch noch Griechenland eingeladen werden.
"Gipfel wäre aber zu viel gesagt"
Es handle sich um ein Nachfolgetreffen der heutigen Gespräche, so Kern, das genaue Format werden noch festgesetzt. "Gipfel wäre aber zu viel gesagt." Wann genau dieses Treffen stattfinden soll und ob möglicherweise weitere Länder dazustoßen könnten, war vorerst unklar. Vor dem informellen EU-Gipfel am 16. September in Bratislava werde es sich aber nicht mehr ausgehen, meinte der Bundeskanzler.
Griechenland sei insofern auch ein wichtiger Gesprächspartner, weil es dort nicht gelungen sei, die Rückführungen von Flüchtlingen in die Türkei umzusetzen. Von rund 8000 Flüchtlingen hätten bereits circa 4000 aufgrund des Abkommens mit der Türkei dorthin zurückgebracht werden können, doch habe es Athen bisher nicht geschafft, die dafür nötige Rechtsgrundlage zu schaffen. Prinzipiell müsse der EU aber klar sein, dass sie künftig auch Geld in die Hand nehmen muss, um die Wirtschafts- und Lebensbedingungen in den Herkunftsländern der Migranten zu verbessern, sagte Kern.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Kern gemeinsam mit den Regierungschefs der anderen Länder am Samstag zu Gesprächen zur Vorbereitung auf den Sondergipfel in Bratislava empfangen. Die harsche Kritik von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil an der "'Wir schaffen das'-Politik" von Merkel war laut Kern dabei kein Thema: "Sie ist eine Kennerin der österreichischen Politik. Punkt."
Kern sieht kein "Störfeuer"
Im Vorfeld des Treffens hatte der Bundeskanzler klargestellt: "Ich bin nicht der Meinung, dass Frau Merkel unverantwortlich gehandelt hat." Ein "Störfeuer" seitens seines SP-Parteikollegen Doskozil wollte Kern aber nicht sehen. Inhaltlich seien die Aussagen Doskozils sehr "realitätsnah" gewesen. Auch in Deutschland habe sich die Situation seit dem Vorjahr verändert; dort seien bereits ebenfalls Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung vorgenommen worden.
Auf dem Weg nach Berlin sagte Kern aber auch, dass Auswirkungen der Flüchtlingszuwanderung auf den Arbeitsmarkt beachtet werden müssten. Dieser werde auch EU-intern durch Entsendungen aus Osteuropa belastet. Daher könne es ebenfalls in Österreich zu einer Diskussion über die Personenfreizügigkeit kommen.
Diese Personenfreizügigkeit spielte auch beim EU-Austrittsvotum der Briten (Brexit) eine Rolle. Den Brexit betreffend herrschte bei dem Treffen in Berlin nach Angaben Kerns Einigkeit, dass der Prozess über die künftige Zusammenarbeit nicht über den Zaun gebrochen werden dürfe. Zudem sei diese Frage eng mit den Herausforderungen in der Wirtschaftspolitik verbunden: "Wir sind seit 2008 in einem schwierigen Fahrwasser." Es gelte, das "Wohlstandsversprechen" wieder einzulösen. In Europa müsse wieder das Gefühl vorherrschen, "dass es unseren Kindern einmal besser gehen wird".
Alternative Partnerschaft mit Ankara?
Neben dem Thema Flüchtlinge erwartet sich Kern nach den Gesprächen mit Merkel sowie den Regierungschefs aus Bulgarien, Bojko Borissow, Slowenien, Miro Cerar, und Kroatien, Tihomir Oreskovic, in der Frage der Türkei substanzielle Diskussionen in der EU. Der Kanzler unterstrich, dass eine alternative Partnerschaft mit Ankara überlegt werden müsse. Die österreichische Position sei durchaus akzeptiert worden. Wichtige Punkte sind dabei laut Kern unter anderem die Punkte "Migration, Zollunion und Sicherheitspolitik".
In den vergangenen Jahren sei es in der Türkei zu einer Radikalisierung und Problemen mit der Rechtsstaatlichkeit sowie der politischen Kultur gekommen. Zudem müsse sich die EU darauf besinnen, dass sie ein Beitritt der Türkei überfordern würde. Der Arbeitsmarkt sei schon jetzt durch Zuzug und Entsendungen aus dem Osten unter Druck, in den nächsten Jahren werde dieser auch noch für Kroatien geöffnet. "Wir haben 1,3 Prozent mehr Jobs, die Arbeitslosigkeit steigt aber trotzdem."
Unterdessen äußerte sich die ÖVP in einem der "Presse" vorliegendem Konzept für den Umgang der EU mit der Türkei ähnlich. Darin spricht sich die Volkspartei klar gegen einen EU-Beitritt und für eine "maßgeschneiderte Europäisch-Türkische Interessensunion (ETI)" - ohne Personenfreizügigkeit sowie die Ausweitung der Dienstleistungsfreiheit - aus. Die im Rahmen des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei beschlossene Visaliberalisierung bleibe aber an die Erfüllung aller dafür erforderlichen Kriterien gebunden.