Übermäßig harmonisch verlief der Auftritt von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Vize-Kanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) nach dem Ministerrat nicht gerade: Bei den Streitpunkten Maschinensteuer, Rechnungshof-Kandidaten und Flüchtlingskrise gab es offensichtlich keine wesentliche Annäherung. "Wir sind zwei verschiedene Parteien mit unterschiedlichen Ansichten", erklärte Kern.

Kurz zuvor hatte SPÖ-Klubchef Andreas Schieder das "miese taktische Spiel" seines ÖVP-Amtskollegen Reinhold Lopatka bei der Bestellung des neuen Rechnungshofpräsidenten kritisiert. Am liebsten wäre ihm, die Koalitionsparteien hätten sich gemeinsam mit einer oder mehreren Oppositionsparteien auf eine Person geeinigt. Nun soll der oder die am besten Qualifizierte gefunden werden. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) zeigt sich über die für die Rechnungshof-Präsidentschaft nominierten Kandidatenriege unglücklich. Es sei in der Tat so, dass man "ganz unabhängige Kandidaten" vorgezogen hätte, meinte er

Genau drei Wochen ist es her, dass das Kabinett Kern-1 angelobt wurde. Nie zuvor war die Aufbruchsstimmung so schnell verflogen wie diesmal. Vor der heutigen Ministerratssitzung wurde die neue Regierung schon wieder totgesagt. Der Ton macht die Musik: Nach den Nadelstichen aus der zweiten Reihe wartet heute alles gespannt auf die Botschaft von Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP).

Kanzler und Vizekanzler haben sich als Tandem gefunden und sind sogar bereit, ein paar heilige Kühe zu schlachten. Gelänge die Verkleinerung der Sozialversicherung oder die Reform der Gewerbeordnung, könnte sich der Neustart sehen lassen.

Doch eine Regierung besteht nicht nur aus Kanzler und Vizekanzler. In der zweiten und dritten Reihe ist vor allem auf schwarzer Seite das Misstrauen gewaltig. Nicht wenige wollen dem unverbrauchten, smarten SPÖ-Chef den Umstieg in die Politik vermasseln und die Möglichkeit verbauen, als Kanzler Fuß zu fassen. Nur Mitterlehner hält – aus Überlebensinstinkt – Kern die Treue.

VP probt Alleingänge

Bezeichnend für die Politik der verbrannten Erde war etwa die Reaktion des Wiener ÖVP-Chefs Gernot Blümel, eines engen Vertrauten des Außenministers, auf Kerns Ausrutscher bei den Flüchtlingszahlen: „Wenn der neue Kanzler die Obergrenzen aufweicht, kann er gleich wieder abdanken.“

Bei der Kür des Rechnungshofpräsidenten probt ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka lieber den Alleingang und schickt eine Kandidatin ins Rennen, die die FPÖ beglückt und die SPÖ auf die Palme bringt.
Dass Außenminister Sebastian Kurz – ohne Not, ohne Anlass – ein zweifelhaftes Flüchtlingskonzept in die Welt setzt, das die rote Willkommenskultur-Fraktion in helle Aufregung versetzt, passt ins Bild. Im roten Koalitionslager biss man sich gestern auf die Zunge und schwieg, dafür meldeten sich einige Landeshauptleute zu Wort.

Schielen auf SPÖ-Parteitag

Umgekehrt brachte Kern mit der Maschinensteuer und der Arbeitszeitverkürzung das schwarze Lager gegen sich auf. Der Kanzler wollte wahrscheinlich weniger die ÖVP provozieren, Kern muss sich in drei Wochen beim SPÖ-Parteitag erstmals einer Wahl stellen und giert nach linken Stimmen. Ein Ergebnis unter 95 Prozent wäre eine mittlere Katastrophe.

MICHAEL JUNGWIRTH