Bundeskanzler Werner Faymann bekräftigte am Donnerstag, dass es sich aus seiner Sicht bei der von der Regierung festgelegten Zahl von 37.500 Flüchtlingen heuer um "einen Richtwert" handelt. Zu den Konsequenzen eines Überschreitens verwies der Kanzler gegenüber der APA am Rande des Untersuchungsausschusses darauf, dass man ein Gutachten von zwei Sachverständigen beauftragt habe.
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) drängt nach den relativierenden Aussagen aus der SPÖ auf die Einhaltung der beim Asylgipfel vereinbarten Obergrenze. "Wir erreichen mit unserem Beschluss das, was wir wollen: einen Dominoeffekt, den wir uns erhofft und erwartet haben", lobte sie die Maßnahme am Donnerstag im Gespräch mit der APA. In der Flüchtlingspolitik gebe es eine "Schubumkehr".
Das angekündigte Gutachten zur Asylpolitik erwartet sich Mikl-Leitner "innerhalb der nächsten Wochen". Für die Innenministerin liegen zwei Möglichkeiten auf dem Tisch, wie man mit einer Obergrenze umgehen könnte: Eine orientiere sich an Schweden, wo Anträge zwar angenommen, aber auf Jahre nicht aber bearbeitet würden. Eine zweite Möglichkeit werde gerade in Österreich geprüft. Nämlich die Abweisung von Asylwerbern an der Grenze und deren Zurückweisung in sichere Nachbarstaaten, wie sie am Donnerstag erneut erklärte.
Faymann wollte das so nicht bestätigen: Das beauftragte Gutachten solle zeigen, was überhaupt die Möglichkeiten wären, wenn die Zahl überschritten werde - Ziel sei es freilich, dass sie gar nicht erreicht werde, betonte der Regierungschef.
Dass das wohl unrealistisch ist, sieht Faymann nicht unbedingt so: Dies hänge von den Verhandlungen mit der Türkei und den Ergebnissen auf europäischer Ebene ab. Es gebe etwa die Möglichkeit, dass in Griechenland ausreichend gute Quartiere geschaffen würden und man die Menschen gemäß Dublin-Vereinbarung wieder dorthin zurückbringen könne.
"Ich hänge nicht an der Zahl 37.500 - für mich ist das ein Richtwert", sagte am Donnerstag auch der designierte SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil im ORF-Radio. "Aus jetziger Sicht ist es nicht zulässig, jemanden, der in Österreich einen Asylantrag stellt - auch mit dieser Planungsgröße, Richtgröße - zurückzuweisen." Doskozil dämpfte daher die Erwartungen. "Wir werden uns bemühen, diese Zahl zu erreichen, aber ich kann Ihnen heute nicht sagen, dass diese Bemühungen ausreichen werden."
ÖVP-Generalsekretär Peter McDonald warnte Koalitionspartner SPÖ am Donnerstag vor einer Verunsicherung der Bevölkerung nach dem Asylgipfel. "Die politische Entscheidung ist getroffen", sagte McDonald zur APA im Hinblick auf relativierende Äußerungen des designierten Verteidigungsministers Hans Peter Doskozil zu den Obergrenzen. Gemeinsames Ziel sei es, weiteren Zuzug nach Österreich einzudämmen. "Es ist eine absolute Entscheidung, wo die absoluten Höchstgrenzen liegen", reagierte der ÖVP-Generalsekretär darauf.
Laut McDonald bestätigen Verfassungsexperten aus dem In- und Ausland, dass die Einführung einer Obergrenze rechtlich möglich sei. Nun müsse daran gearbeitet werden, die politische Festlegung rechtskonform umzusetzen. "Dazu werden die in Auftrag gegebenen europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Gutachten helfen, aber die politische Entscheidung ist getroffen", betonte der ÖVP-Generalsekretär nochmals.
Der Europarechtler Walter Obwexer, der am von der Regierung vereinbarten Gutachten zur Asylpolitik mitarbeiten soll, rät der Regierung zu einer "Reserve" im Hinblick auf die Asylwerber-Obergrenze. Diese werde man benötigen, um jene Asylanträge behandeln zu können, die nach Völker- und Europarecht behandelt werden müssen, wie er am Donnerstag im Ö1-"Mittagsjournal" sagte. "Vollkommen dicht gemacht" werden könne die Grenze nicht.
Eine völlige Schließung der Grenzen wäre für den Gutachter auf jeden Fall rechtswidrig. Er und der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk sollen im Auftrag des Verfassungsdiensts im Bundeskanzleramt die Vorhaben der Regierung zur Asylpolitik auf ihre Legitimität hin prüfen.
Wenig Chancen gibt dem Projekt auch der Völkerrechtler Manfred Nowak. Er sieht die Obergrenze nur als "politische Zielvorgabe", wie er dem "profil" sagte: "Völkerrechtlich ist eine Asylobergrenze nicht durchführbar."
Das Rechtsgutachten über die Möglichkeit einer strikten Obergrenze für Flüchtlinge wird voraussichtlich bis Mitte/Ende März vorliegen. Davon geht der Verfassungsdienst im Kanzleramt aus, der die Studie gemeinsam mit dem Völkerrechtsbüro des Außenministeriums in Auftrag geben soll, sagte eine Sprecherin von Kanzler Faymann am Donnerstag.
Für die FPÖ ist nach gestrigen Asylgipfel das Scheitern der rot-schwarzen Bundesregierung endgültig erwiesen. Was vorliege, sei eine "Pseudo-Placebo-Beschlusslage", und von einer Obergrenze könne keine Rede sein, so Partei- und Klubchef Heinz-Christian Strache am Donnerstag in einer Pressekonferenz. Er forderte ein Dichtmachen der Staatsgrenze, den Rücktritt der Bundesregierung und Neuwahlen.
Bundespräsident Heinz Fischer bekundet gewisses Verständnis dafür, dass sich Bund und Länder auf Flüchtlingsobergrenzen verständigt haben. Man müsse sehen, dass "Deutschland und Österreich an der Grenze der Belastbarkeit sind", meinte das Staatsoberhaupt gegenüber Journalisten bei einem Besuch in Tunesien. Zu den Obergrenzen direkt äußerte sich der Präsident vage. Das "Asyl als Menschenrecht" wolle er "natürlich nicht infrage stellen", antworte er auf die Frage eines tunesischen Journalisten: "Aber wir müssen ein Handling finden, damit es gerechter verteilt wird."
Proteste gegen Flüchtlings-Obergrenzen innerhalb der SPÖ kommen unter anderem aus der mächtigen Wiener Landespartei, so erklärte etwa Finanzstadträtin Renate Brauner am Mittwoch, man habe die Rechtsprüfung nur in das Papier integriert, um feststellen zu lassen, dass Obergrenzen rechtswidrig seien. Es stimme, dass man sich auf das Gutachten geeinigt habe, meinte Faymann darauf angesprochen am Donnerstag, aber "man kann sich nicht einigen, was bei einem Gutachten rauskommt".
Allerdings gibt es auch in der SPÖ stimmen für eine Obergrenze. Er habe zwar "keine Freude" damit, sagte Tirols SPÖ-Chef Ingo Mayr im Gespräch mit der APA am Donnerstag: "Aber diese unpopuläre Maßnahme ist notwendig, um europaweit ein Zeichen zu setzen".