Die gewaltige Messehalle hat den Charakter einer Wagenburg. Vorne eine überdimensionierte, kreisrunde Videowand, die das Podium und die ersten Delegiertenreihen einfasst. Kein einziges Fenster, sodass kein Lichtstrahl von außen nach innen dringt. Nicht minder überdimensioniert der Slogan über dem Rednerpult: „Sozial denken – Lohnsteuer senken“. Unter den Gästen Franz Vranitzky und zur großen Überraschung der meisten der in Argentinien lebende Ex-Kanzler Viktor Klima, der besonders herzlich begrüßt wird. Nicht dabei Faymann-Vorgänger Alfred Gusenbauer.
68 Sekunden Applaus
Von der ersten Minute an dreht sich am ersten Tag des auf zwei Tage anberaumten SPÖ-Parteitags fast alles um die Geschlossenheit der Genossen. Werner Faymann, der sich am Abend der Wiederwahl als SPÖ-Parteichef stellt, bemüht in seiner rund 45-minütigen, nicht sonderlich inspirierenden Rede fast nur Feindbilder: die Banken, die Spekulanten, Schwarz-Blau, die Wasserprivatisierer, die FPÖ, die Medien. „Glaubt ja nicht, dass die Neoliberalen schon aufgegeben haben.“ In Vorwegnahme der zu erwartenden heftigen Debatte beschwört Faymann schließlich die Geschlossenheit der Partei. „Unsere Stärke ist, dass wir hart gegeneinander diskutieren, aber geschlossen nach außen auftreten.“ Der Applaus der 616 Delegierten währt genau 68 Sekunden.
Geschlossenheit vs. Pseudogeschlossenheit
In der gut dreistündigen Debatte droht die Stimmung zur Halbzeit zu kippen. Vor allem die Vertreter der Jugendorganisationen üben in ihren Wortmeldungen heftige Kritik am Appell zur Geschlossenheit. „Eine Partei, die immer nur zur Geschlossenheit aufruft, wird bald geschlossen sein“, zitieren gleich mehrere Delegierte ein Bonmot von Ferdinand Lacina. „Ich bin für Geschlossenheit, aber gegen Pseudogeschlossenheit“, ätzt eine junge Genossin. Eine andere spöttelt über das „Festival der Geschlossenheit“. Und der frühere SJ-Wolfgang Moitzi: „Wir werden immer nur vor den Wahlen von der Parteispitze kontaktiert. Nach der Wahl will man von uns nichts mehr wissen. Wenn es so weitergeht, wird es meine Generation sein, die in der Parteizentrale das Licht abdreht.“
Mit einem energischen Auftritt gelingt es mehreren Gewerkschaftern, die Stimmung wieder etwas zu drehen. Besonders launig Postbusgewerkschafter Robert Wurm: „Das ist wie in einer großen Familie. Wir sind vielleicht böse auf den Papa, sehr böse. Aber wenn die Polizei kommt und fragt, wo ist der Papa, dann wissen wir’s nicht.“ Sozialminister Rudolf Hundstorfer rechnet dann den Delegierten im Detail vor, welche vermögensbezogenen Steuern in der Ära Faymann bereits eingeführt worden sind. Schließlich erklimmt SPÖ-Chef Faymann noch einmal die Bühne. „Die Sozialdemokratie hat nie gewonnen, weil sie die größte Chaotentruppe ist, sondern weil sie kritisch ist und eine bessere Welt und eine gerechtere Gesellschaft im Auge hat.“
Zitate:
Vertraute abgestraft
Schließlich beginnen die Abstimmungen. Während die meisten Kandidaten zwischen 98 und 100 Prozent erhalten, stürzt Faymann im ersten Durchgang auf katastrophale 83,6 Prozent ab. Beim letzten Parteitag schaffte er im ersten Durchgang 87,4 Prozent. Abgestraft werden auch die beiden Faymann-Vertrauten Gabriele Heinisch-Hosek (88 Prozent) und Doris Bures (93 Prozent). Über 99 Prozent ÖGB-Chef Erich Foglar, der Kärntner Landeschef Peter Kaiser, die Steirerin Bettina Vollath und die Grazer Parteichefin Martina Schröck. Im entscheidenden zweiten Durchgang sind es dann 84 Prozent für Faymann – um 0,5 Prozent besser als beim letzten Parteitag.