Auch Kinder, die geprügelt werden, kommen zu Ihnen in die Praxis. Sind es in den letzten Jahren weniger geworden?
MARTINA LEIBOVICI-MÜHLBERGER: Es sind weniger geworden, aber das heißt nicht, dass alles in Ordnung ist. Jedes Kind, das geprügelt wird, ist ein Kind zu viel. Körperliche Bestrafung ist immer demütigend, sie untergräbt das Vertrauen in das Gegenüber, aber auch ins Leben. Deswegen müssen wir auch weiterhin wachsam bleiben.
Verletzen können nicht nur Schläge, sondern auch Worte. Wie weit ist die Gesellschaft im Umgang mit psychischer Gewalt gegenüber Kindern?
LEIBOVICI-MÜHLBERGER: Diese Form der Gewalt wird noch zu oft bagatellisiert, obwohl sie genauso wie Prügel die Seele des Kindes schwer beschädigt. Eltern üben psychische Gewalt mit gering schätzendem Verhalten dem Kind gegenüber aus. Sie versuchen, Schmerz über Entwertung zuzufügen, über die Kontaktverweigerung oder Bloßstellung. Psychische Gewalt ist schwerer nachzuweisen und scheinbar unsichtbar. Das macht mir große Sorgen.
Wie können wir erreichen, dass die Gesellschaft geschlossen hinter einer gewaltfreien Erziehung von Kindern steht?
LEIBOVICI-MÜHLBERGER: Dazu braucht es Bewusstseinsbildung, Prävention und niederschwellige Angebote für Eltern, die prügeln. Strafe und Kriminalisierung sind nicht der richtige Weg. Obwohl Prügel niemals bagatellisiert werden dürfen, jede Watsche ist zu viel, jede Watsche muss thematisiert werden. Mir fehlt ein Kinderministerium, das dafür sorgt, dass dem Lebensabschnitt Kindheit von allen Seiten mit sehr viel mehr Achtsamkeit begegnet wird.
INTERVIEW: PETRA PRASCSAICS