Politik heißt verhandeln. Das gilt vor allem für regierende Parteien und Politiker. Kaum ist ein Vorhaben beschlussreif, liegen schon die nächsten Maßnahmen auf dem Tisch. Regierungsverhandlungen sind in gewisser Weise die Königsdisziplin, muss doch in wenigen Wochen ein kompletter Fünf-Jahres-Plan erstellt werden, von der Bildung bis zum Sport. Was es nicht ins Koalitionsprogramm schafft, hat de facto keine Chance auf Umsetzung.
Es ist naheliegend, dass in diesen Gesprächen selbst nebensächliche Fragen von großer Bedeutung sind und Konfliktpotenzial bergen. Zum Beispiel diese: Wo sollen die Dokumente, an denen wochenlang herumgedoktert wird, abgespeichert werden? Man könnte dafür eine Cloud nehmen – aber jene von Partei A oder Partei B? Bei Online-Speicherplätzen der großen Tech-Giganten aus den USA könnten Geheimdienste mitlesen, wäre also keine gute Idee.
Bei früheren Verhandlungen wurden Dokumente nur lokal auf dem Computer eines Verhandlers oder einer Verhandlerin gespeichert, von Runde zu Runde wurde daran weitergeschrieben. Da wird auch gleich das Vertrauen auf die Probe gestellt. Sollte eine Seite eigenhändig auch nur einen Beistrich ändern, könnte dies die gesamten Verhandlungen gefährden.
Überhaupt gilt: Vertrauen ist alles, „Message control“ ist besser. Wenn eine Partei zu viel nach außen trägt, kann das zu Konflikten führen. Das ist auch in den derzeit laufenden Sondierungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos nicht anders. Wenn man dieser Tage mit Verhandlern spricht, ist ein hohes Maß an Unsicherheit zu vernehmen. Die Situation sei gerade sehr heikel, hört man da.
Sollten ÖVP, SPÖ und Neos am Montag den nächsten Schritt wagen und die Detailverhandlungen starten, werden wohl insgesamt mehr als 300 Personen daran teilnehmen, also etwa 100 pro Partei. Aufgebaut ist das System in drei Ebenen. Die einzelnen Themenbereiche (Bildung, Umwelt, Wohnen, Justiz, Sport, etc.) werden in kleinen Untergruppen verhandelt von etwa drei bis vier Personen pro Partei. Ob diese Experten oder Politiker entsenden, ist den Parteien selbst überlassen. Mit mehr als 30 solcher Untergruppen ist zu rechnen.
Die Ampel leitet die Verhandler
Wie auch bei früheren Verhandlungen wird mit einem Ampelsystem gearbeitet. Die Einigung auf ein Vorhaben wird grün markiert, was gelb ist, braucht noch Debatte, Rot bedeutet Dissens. Etwa sechs Fachgruppen werden in sogenannten „Themenclustern“ zusammengefasst. Das ist die zweite Ebene, die vor allem der Koordinierung dient. Die Cluster-Leiter berichten der Steuerungsgruppe, die man auch Chefgruppe nennen könnte, über die Ampelschaltungen in den einzelnen Untergruppen.
Auf dieser dritten Ebene mit den Parteispitzen fallen die finalen Entscheidungen. Sie können „grüne Vorhaben“ wieder zurückschicken, was rot ist, muss auf höchster Ebene ausgehandelt werden. Entweder, indem die Parteichefs einen Kompromiss finden – oder sich darauf einigen, uneinig zu bleiben. In diesem Fall gibt es zwei Optionen: Es kann zu einem Abtausch mit anderen „roten Vorhaben“ kommen oder bleibt ein nicht erhörtes Anliegen. Dann wird es gestrichen.
In den Sondierungen, die am Wochenende in loser Runde fortgesetzt wurden, wurde einerseits die genaue Organisation der Verhandlungen, andererseits das Inhaltsverzeichnis eines möglichen Koalitionsvertrags festgelegt. Noch sind nicht alle offenen Punkte ausgehandelt, was auch damit zu tun hat, dass heutzutage in der Politik so gut wie alles von Bedeutung ist – oder bedeutsam gemacht wird. Wie bei früheren Verhandlungen werden auch diesmal die Themencluster mit symbolischen Begriffen versehen, um erste Signale an die jeweiligen Wählerschaften zu senden, welche Bereiche von besonderer Wichtigkeit sind. Auch darum wurde in den vergangenen Tagen gerungen.
Auf die Formulierung kommt es an
Der in den Detailverhandlungen erzielte Konsens muss redaktionell bearbeitet und in verständliche Sätze gegossen werden. Da kommt es auf jedes Wort an. Die stärkste, weil bindende Form ist, wenn Vorhaben mit konkreten Umsetzungszeiträumen versehen werden. Das ist selten. Schwächer ist die Einigung auf eine Arbeitsgruppe, die ein Vorhaben ausarbeiten soll, am schwächsten ist die Formulierung einer „Prüfung“ eines Projekts. Das ist kein kategorisches Nein, doch viel mehr als eine Zehenspitze in Richtung eines vorgebrachten Wunsches ist es nicht.
Die Personalia werden in der Regel erst am Ende einer Regierungsverhandlung besprochen. Gerade bei den komplizierten Großparteien ÖVP und SPÖ mit ihren Vorfeld- und Landesorganisationen kann bei der Zusammenstellung der Ministerriege (manchmal) kompensiert werden, wenn bestimmte Teile der Partei mit dem erzielten Verhandlungsergebnis unzufrieden sind.
Je weiter die Verhandlungen fortgeschritten sind, desto wahrscheinlicher ist ein Abschluss. Wenn die Gespräche zwischen ÖVP, SPÖ und Neos scheitern sollten, dann sehr bald und nicht auf den letzten Metern. Vorerst ist aber noch nicht einmal fix, dass aus den Sondierungen wirklich Regierungsverhandlungen werden, wie alle drei Parteien betonen. Auch das offenbart die Unsicherheit.