In einem sind sich ÖVP, SPÖ und Neos durch und durch einig. Der Weg zu einer Dreier-Koalition ist noch sehr, sehr weit. Die Stimmung könnte man als erwartungsvolle Nervosität bezeichnen, zumal die Phase der Wiederherstellung des wechselseitigen Vertrauens noch nicht abgeschlossen ist. Nach der ersten Runde zu dritt gab es keine Stellungnahmen, am Donnerstag wird weiter verhandelt.
Thematische Schwerpunkte für Sondierungen
Als Karl Nehammer und Andreas Babler am Dienstag die ursprüngliche Einladung an die Neos mit Parteichefin Beate Meinl-Reisinger ausgesprochen hatten, sich den Sondierungsgesprächen anzuschließen, legten die Parteiobersten von ÖVP und SPÖ auch zugleich die thematischen Schwerpunkte fest: Bildung, Wirtschaft, Migration und Gesundheit. Für jeden ist etwas dabei, doch überall lauern auch Bruchlinien. Ein Überblick über die Standpunkte der drei Parteien.
BILDUNG
Die Schnittmenge zwischen SPÖ und Neos ist größer. Beide wollen einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, analog zu Deutschland. Dies wollen auch Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung, der (ÖVP-nahe) Gemeindebund wehrt sich aber aus Sorge vor Schadenersatzzahlungen wie in Deutschland.
Dass in den Ausbau der Kindergärten investiert werden muss, wird aber auch von der ÖVP unterstützt und wurde im Vorjahr im Finanzausgleich verankert. Das größte Problem aktuell ist das Personal. In Wien sind 700 Stellen in Kindergärten unbesetzt. Ein Vergleich mit Bayern zeigt, dass sich die Betreuungsquote der unter Dreijährigen auch mit Rechtsanspruch nicht so anders entwickelt hat – in Bayern von 26 auf 37 Prozent, in Österreich von 21 auf 33 Prozent.
Bei den Schulen dürfte es kniffliger werden. Rot und Pink wollen die gemeinsame Schule und keine Trennung mehr im Alter von 10 Jahren. Die ÖVP lehnte dies bisher ab und fordert eine Rückkehr der Leistungsgruppen sowie eine Bildungspflicht mit 15. Das wiederum ist dem Neos-Wunsch nach einer „mittleren Reife“ ähnlich. Der gemeinsame Nenner wäre der (weitere) Ausbau der Ganztagsschule, doch das wäre ein Minimalkompromiss und wohl kaum als Reform zu verkaufen.
WIRTSCHAFT
Die programmierten Bruchlinien liegen hier zwischen der SPÖ einerseits sowie Neos und ÖVP andererseits. Wobei auch die Liberalen in etlichen Punkten mit der ÖVP über Kreuz sind, etwa bei der Forderung nach einer neuen Gewerbeordnung. Für Kompromisse sind die schlechten Konjunktur- sowie Budgetzahlen aber hilfreich. Erstens erhöht sich der Handlungsdruck – und Beschäftigung ist auch für die SPÖ zentral. Zweitens verschiebt der aktuelle Sparzwang ein potenzielles Streitthema weit nach hinten: Die von ÖVP und Neos gewünschten kräftigen Steuersenkungen sind derzeit nicht realistisch.
Heikel ist das Thema Lohnnebenkostensenkungen, wie von ÖVP und Neos gefordert und von der SPÖ gefürchtet. Doch auch da ist der Spielraum gering: Ein Transfer des Familienlastenausgleichsfonds ins Bundesbudget würde dieses massiv belasten.
MIGRATION
Bei Asyl und Integration spielt Rhetorik eine zentrale Rolle. Der internationale Rechtsrahmen setzt den Nationalstaaten enge Grenzen. Alle drei Parteien unterstützen den EU-Migrationspakt und sie eint das Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit, während die FPÖ das Asylrecht aussetzen will. Die restriktive Rhetorik wird die ÖVP beibehalten. Das haben allerdings schon die Grünen ausgehalten und wird auch die SPÖ akzeptieren – zumal die rote Basis migrationskritischer als die Parteispitze ist.
Eine scharfe Migrations-Rhetorik kann jedoch negativ auf Integrationsbemühungen wirken. Die Differenzen sind fundamental: Die ÖVP versteht Integration als kulturelle Anpassung. Und sie will diese, von den Schulen bis zur Sozialhilfe, mit Sanktionen durchsetzen. Rot und Pink wollen die Rückkehr des Integrationsjahres, also mehr Angebote statt Strafen. Beide wollen auch eine Residenzpflicht für Flüchtlinge. Interessant wird, welche Partei das Ressort erhält – eben weil Rhetorik wichtig ist.
GESUNDHEIT
Die Programme der drei Parteien widersprechen einander nicht, sondern sie reden aneinander vorbei. Die Neos wollen strukturelle Reformen, die SPÖ beschreibt Leistungsansprüche, die ÖVP den Segen der Digitalisierung für das Gesundheitssystem.
Große Koalitionen hätten sich früher wohl auf neue Sondertöpfe geeinigt, um die demografisch bedingte Kostendynamik im System stemmen zu können. Das wird den Neos nicht reichen und diesmal auch das Budget überfordern. Der finanzielle Leidensdruck aller Beteiligten ist mittlerweile sehr groß. Die Sozialversicherung schreibt Defizite, die Länder müssen immer mehr Geld in ihre Spitäler stopfen.
Anders formuliert: Nie waren die Chancen besser, dass ein großer Wurf einer Reform gelingt – auf dem Papier. Und das ist geduldig. Denn die große Hürde wäre die Umsetzung in den ewigen Weiten des heimischen Föderalismus und der Komplexität der Sozialversicherung.