Die türkis-blaue Regierungszeit ist über weite Strecken von Einklang geprägt gewesen. Erst kürzlich trauerte Ex-Kanzler Sebastian Kurz dieser Zusammenarbeit öffentlich nach. Dennoch sorgten zwei Ereignisse für koalitionäre Klimakrisen: die Liederbuch-Affäre einer Burschenschaft und eine Spende des Christchurch-Attentäters an die Identitären. Sie führten zu Distanzierungen, einem Historikerbericht und einem Auflösungsantrag gegen die betroffene Burschenschaft – ausgerechnet durch den damaligen Innenminister Herbert Kickl. Daraus sind mittlerweile nur noch Fußnoten der jüngeren Geschichte geworden.
Nach seiner Wahl in der Vorwoche ist Nationalratspräsident Walter Rosenkranz in Sachen Burschenschaften gleich in die Offensive gegangen: Sie seien ein „unverzichtbarer Bestandteil“ der Republik, sagte er der APA. Rosenkranz ist selbst Mitglied der schlagenden Verbindung Libertas. Er stand auch gleich dem Rechtsaußen-Sender AUF1 für ein längeres Interview zur Verfügung. Gesprächspartner war der frühere Leiter der Wiener Identitären. (Die Kleine Zeitung hat bisher keinen Interviewtermin erhalten).
Kickl: Vertrauen und Distanz
Die Rolle der Burschenschaften innerhalb der FPÖ hat sich im Lauf der Jahrzehnte mehrfach gewandelt. In der Oppositionszeit unter Jörg Haider wurden sie eher an den Rand gedrängt, doch es war ein Leben und leben lassen. In der Regierungszeit entwickelten die blauen Burschenschafter aber eine Wirkmacht und spielten bei der Abspaltung des BZÖ 2005 eine tragende Rolle. Der Rückenwind für die burschenschaftlichen Netzwerke in den folgenden Jahren für die Partei zeigte sich – wenn auch in diesem Fall vor allem symbolisch – an der Genese des Akademikerballs. Bis 2007 wurde der damalige Ball des Wiener Korporationsrings ohne größere öffentliche Wahrnehmung in der Hofburg abgehalten. Danach gab es jedes Jahr Proteste und Demonstrationen, gefolgt von einer parteipolitischen Besetzung durch die FPÖ, die seit 2013 den Ball selbst organisiert.
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern nahm Kickl nie am Ball der Burschenschafter teil, er gehörte auch nie einer Verbindung an und soll mit den Riten und Bräuchen generell wenig anfangen können. Auch mit deutschnationaler Ideologie hat der FPÖ-Chef nichts am Hut. Doch Kickl hat sich mit maßgeblichen Akteuren der Burschenschafter arrangiert. Und, mehr noch, Ex-Klubdirektor Norbert Nemeth und Harald Stefan, die der sehr rechts stehenden Burschenschaft Olympia angehören bzw. angehörten, zählen zu Kickls Vertrauten.
Sellner war Mitglied der Olympia
Es ist auch diese schlagende Burschenschaft, die den wichtigsten Anknüpfungspunkt zu den Identitären bildet. Denn dort erfuhr der frühere Neonazi Martin Sellner eine Art Deradikalisierung – allerdings nur vom Hakenkreuz-schmierenden Jugendlichen zu einem Wegbereiter der Neuen Rechten im deutschsprachigen Raum. Sellner dürfte nicht mehr Olympia-Mitglied sein, der Gründer der Identitären besuchte aber dennoch heuer den Akademikerball.
Die FPÖ war von den Identitären und ihrem Aktivismus durchaus angetan, die blaue Jugend knüpfte Kontakte. Zu einer größeren Bewegung, wie von Sellner einst beabsichtigt, entwickelte sich die heute als rechtsradikal bewertete Gruppierung jedoch nie. Im Herbst 2016 waren die Identitären führend an einem rechten Kongress in Linz beteiligt. Angemeldet hatte die Veranstaltung die Burschenschaft Arminia Czernowitz, die personell sowohl mit der FPÖ als auch mit Identitären verbunden ist. Festredner war damals: Herbert Kickl.
Spende des Christchurch-Attentäters als kurze Zäsur
Das Bekanntwerden einer Spende des Attentäters von Christchurch, der im März 2019 in zwei neuseeländischen Moscheen 51 Menschen erschoss, war eine Zäsur – vorübergehend. Die FPÖ, damals in der Regierung, distanzierte sich unter Druck der ÖVP von den Identitären. „Wir wollen mit der identitären Bewegung nichts zu tun haben“, sagte Parteichef Heinz-Christian Strache. Bis heute ist zwar ein damals getätigter FPÖ-Vorstandsbeschluss in Kraft, wonach es keine „personellen, funktionellen oder aktionistischen Überschneidungen“ mit den Identitären geben darf, doch schon 2020 hatte Generalsekretär Michael Schnedlitz in einem Interview bekundet, dass man in jener Zeit einen Fehler gemacht habe: „Wir müssen in ein Rückzugsgefecht gehen. Mit dieser Distanziererei ist es jetzt aber definitiv vorbei.“ Das Interview wurde übrigens im Medium „Info-Direkt“ abgedruckt, das den Identitären nahesteht.
Die Strategie der Gruppierung hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Sellner umschwärmt Kickl öffentlich, auch mit der deutschen AfD gibt es Kontakte. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt es: „Fakt ist, dass die ,Neuen Rechten‘ immer stärker eine Vermengung mit der Parteipolitik anstreben und sich dadurch 2024 ein erhöhtes Gefahrenpotenzial für den demokratischen Rechtsstaat ergibt.“ Sellner jubelte auch auf seinem Telegram-Kanal, als Rosenkranz zum Nationalratspräsident gewählt wurde.
Die Begeisterung dürfte mittlerweile abgekühlt sein. Weil Rosenkranz im ORF die Identitären als „zu weit rechts“ verortete, die er nicht ins Parlament einladen wolle, sagte Sellner auf seiner Videoplattform: „Ich finde es peinlich und feige von ihm.“ Der Posten des Nationalratspräsidenten sei nun weniger wert. „Er wurde erkauft mit einer Totaldistanzierung und völligen Unterwerfung, einer Selbstkastration“, so Sellner. „Wenn er das sagt, weiß Rosenkranz genau, dass er damit Kickl schadet.“