Einerseits stimmt: Warum die Aufregung, wenn sich der frisch gekürte freiheitliche Nationalratspräsident mit dem ungarischen Premier und aktuellen EU-Ratsvorsitzenden auf einen Kaffee im Parlament trifft? Immerhin ist Ungarn einer der wichtigeren Nachbarn Österreichs und mit diesem über eine lange gemeinsame Geschichte verbunden.

Andererseits stimmt ebenso, dass der Termin von Walter Rosenkranz und Viktor Orbán vor Symbolik nur so strotzt: Kaum ins zweithöchste Amt der Republik gelangt, trifft der erste FPÖ-Politiker in dieser Funktion nicht irgendwen, sondern ausgerechnet den Herold der illiberalen Demokratie in Europa, der ein homogenes Staats- sowie ein autoritäres Politikverständnis als Ideal vorschwebt.

Ein Treffen mit Symbolkraft

Rosenkranz selbst betont, dass er Orbán nicht eingeladen habe, sondern dieser am Donnerstag ohnehin in Wien weile, um an einem „Friedensgipfel“ der Schweizer Weltwoche gemeinsam mit dem ehemaligen deutschen SPD-Chef und Bundeskanzler Gerhard Schröder über die geopolitische Lage Europas zu reden. Zudem sei Orbáns Termin mit FPÖ-Chef Herbert Kickl schon vor seinem Amtsantritt vereinbart worden – nach seiner Wahl habe der Premier ihn dann um ein Tête-à-tête gebeten – und er, Rosenkranz, habe schlicht aus Höflichkeit zugesagt.

Das kann man natürlich so sehen. Politik machen heißt Netzwerke knüpfen, das gilt für alle Lager und Parteien. Denn allein auf sich gestellt, kommen Parteien nicht weit. Schon gar nicht in einem auf Kooperation ausgerichteten Gebilde wie der Europäischen Union und ihren 27 Mitgliedstaaten. Ohne Verbündete, sei es im Geiste oder nur in der einen oder anderen Sache, kommt man in Brüssel nicht weit. Diese Notwendigkeit, sich auf EU-Ebene gegen die EU zu vernetzen, haben auch die Parteien der populistischen und harten Rechten erkannt.

Orbán und FPÖ: eine besondere Beziehung

Wien und Orbán spielen dabei eine Schlüsselrolle. Da ist zum einen die FPÖ, die seit Jörg Haider als Vorreiter des modernen Rechtspopulismus gilt und sich in der jüngeren Vergangenheit für die Vernetzung der höchst heterogenen rechten Ränder engagiert, um auch im EU-Parlament Einfluss zu nehmen. Doch die Grenzen zwischen den Parteifamilien sind ständig im Fluss: Während Fidesz aufgrund einer Vielzahl von Konflikten 2021 die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) verlassen musste und sich nunmehr im Bündnis „Patrioten für Europa“ mit der FPÖ sowie Frankreichs Marine Le Pen zur mittlerweile drittstärksten Fraktion zusammengeschlossen hat, wird etwa die Partei „Fratelli d‘Italia“ von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni von der EVP umworben.

Als langjährige Regierungspartei mit absoluten Mehrheiten verfügt wiederum Orbáns Fidesz-Partei über erhebliche materielle und informelle Ressourcen. So gilt etwa das in Budapest beheimatete Mathias-Corvinus-Collegium als Sprachrohr von und Kaderschmiede für Orbáns politische Ideen. Dessen Mission ist es, eine neue patriotische Generation in Ungarn heranzuziehen. Was ein bisschen ungerecht gegenüber der historischen Figur von König Mathias Corvinus (1443 - 1490) ist. Schließlich öffnete dieser das lange randständige Reich für die Ära der Renaissance und holte italienische Künstler und Gelehrte ins Land. Den Habsburgern blieb er weniger gut in Erinnerung, eroberte er doch Ende des 15. Jahrhunderts weite Teile ihrer Erblande, darunter Wien, wo er auch starb. Aber das ist eine andere Geschichte. Seit Mai 2023 verfügt das Collegium auch in Wien über einen Sitz, nämlich „die Modul University Vienna“ am Kahlenberg, die als Privatuniversität fungiert.

Zu diesen Verflechtungen gesellt sich längst auch ein beachtliches mediales Netzwerk. Bei Letzterem zählt erneut die FPÖ zur Avantgarde, hat sie sich doch über die Jahre ein autonomes Biotop aus selbst betriebenen, befreundeten oder verpartnerten Medienkanälen aufgebaut. Der oberösterreichischen hart rechten bis rechtsextremen Website Auf1 hat Rosenkranz sein erstes Interview nach seiner Kür gegeben.

Auch hier gilt: Das kann man schon machen. Aber umso stärker drängt sich dann der Verdacht auf, die beruhigenden Worte nach seiner Wahl seien vor allem eines gewesen: eine Beruhigungsstrategie von Rosenkranz.