Drei Wochen sind seit der Nationalratswahl vom 29. September vergangen, doch alle Versuche, aus dem Ergebnis einen in sich schlüssigen Wählerauftrag für die Zusammensetzung der künftigen Bundesregierung herauszulesen, sind bisher grandios gescheitert. Vor diesem Hintergrund muss die Aufforderung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen an die Parteiobleute von FPÖ, ÖVP und SPÖ, für Klarheit in Sachen Koalitionsoptionen zu sorgen, als gescheitert betrachtet werden.

Es bleibt bei jenem Patt, das Van der Bellen am vorvergangenen Freitag so ausführlich beklagte: ÖVP-Chef und Interims-Kanzler Karl Nehammer bleibt bei seinem Nein zu einer Zusammenarbeit mit FPÖ-Obmann Herbert Kickl, der als Wahlsieger jedoch auf seinem Anspruch, den Auftrag für eine Regierungsbildung zu erhalten, beharrt. Und eine Zusammenarbeit zwischen der SPÖ von Andreas Babler und der FPÖ, egal, ob mit oder ohne Kickl, war von vornherein ohne Chance.

Die Rede vom angeblich gestohlenen Wahlsieg hat schon begonnen

Wie es im Anschluss weitergeht, wird auch nach dem heutigen Gesprächsreigen in der Hofburg offen bleiben. Aus der Bundespräsidentschaftskanzlei heißt es, erst gegen Wochenmitte ist mit einer Erklärung Van der Bellens zu rechnen.

Doch das Taktieren aller Beteiligten hat einen Preis. Längst tönt aus dem Lager der Freiheitlichen eine Erzählung vom angeblich gestohlenen Wahlsieg. Hier fühlt man sich vom Bundespräsidenten, ÖVP und SPÖ um die Früchte des eigenen Erfolgs gebracht. Dabei wird übersehen – oder eher: ignoriert –, dass auch ein relativer Wahlsieger nach den Spielregeln der parlamentarischen Demokratie eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich vereinen muss. Trotzdem kann diese Erzählung brandgefährlich sein, wie wir am Beispiel der USA sehen, wo Donald Trump bis heute öffentlich behauptet, ihm sei der Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2020 von den Demokraten und Joe Biden gestohlen worden.

Diese Entwicklung sollte allen Beteiligten Warnung sein.