Vor dem großen Bierzelt, das sich am Stadtrand von Hartberg nach den Drogenhunden so blitzartig füllt wie beim echten Oktoberfest, hockt eine ältere Frau aus Favoriten in ihrer Schießbude. Mit dem weißen Gefährt tingelt sie seit Jahren durchs Land. Hinter ihr türmen sich die Stofftiere. Sie wählt freiheitlich, seit sie von der Großmutter die Wohnung in Wien übernehmen hätte sollen und nach drei Tagen auf der Straße stand. Die Großmutter hatte ein rotes Büchl, ohne Übernahme des Büchls keine Übernahme der Wohnung, wurde ihr beschieden. Das sei der Bruch mit der SPÖ gewesen.

„Der einzige Ausländer ohne Messer“

Im Zelt übt derweil John Ottis Parteikapelle das Aufstehen und Schwenken der Fahnen. Sie kosten nichts, im Gegensatz zu den blauen Krawatten, die für zwanzig Euro das Stück zu haben sind oder das „Kunasek-Gilet“, das 43 Euro zwanzig kostet, auf Bestellung. In der Nähe des Zelteingangs steht ein junges Paar, er Pflasterer, sie Pflegeassistentin. Sie trägt blaue Rastazöpfe, er Tracht. Aufgewachsen sei er im Grazer Stadtteil Eggenberg, dort, wo der Ausländeranteil hoch und das Leben sich anders anfühle als früher. In der Schule werde kaum noch Deutsch gesprochen und Lehrerinnen der Handschlag verwehrt. Den Park seiner Kindheit, dort, wo einmal der Bauernmarkt gewesen sei, meide er, obwohl er Kickboxer war. Vor einiger Zeit sei er nach Lieboch gezogen, da gebe es, sagt der Pflasterer, nur einen Ausländer, den Pizzabäcker, „und der zückt keine Messer“. Herbert Kickl müsse in die Regierung, weil sich im Land etwas ändern müsse.

So und ähnlich klingen viele Geschichten aus dem bunt durchmischten Menschenstrom, der sich an diesem Sonntagvormittag auf den traditionellen blauen Frühschoppen des Hartberger Oktoberfests zubewegt. Da ist der 67-jährige Polier aus dem steirischen Hatzendorf, für den Sohn, als der noch klein war, habe er im Monat oft 200 Stunden auf den Baustellen gearbeitet. Er war viele Jahre in Deutschland, dorthin würde es ihn heute nicht mehr ziehen, das Land sei gegen die Wand gefahren, und Österreich nicht allzu weit davon entfernt. Er habe gern und mit Stolz gearbeitet, habe ein Leben lang Steuern gezahlt, aber wenn er höre, wie viel Steuergeld an jene fließe, die noch nie gearbeitet und nie etwas eingezahlt hätten, erfülle ihn das mit Zorn. Er sei kein Rechtsextremer, stamme von Bauern ab und habe früher immer ÖVP gewählt, jetzt nicht mehr. Die Frau am Bierschank, angereist aus dem nahen Burgenland wie Norbert Hofer, pflichtet dem Verdrossenen bei. Sie warnt „die in Wien“ vor einer Abwehrkoalition am Sieger vorbei: „Dann geht das Volk in die Höhe“.

Herbert schlägt Autodrom

Unter dem vielen Edelweiß, dem Tannengeflecht und den Sechzehnendern, die das riesige Zeltdach verzieren, schwört John Otti die Massen auf das „blaue Beben in der Steiermark“ ein, die Landtagswahl am 24. November. Aus den Boxen dröhnt Gabalier und Sierra Madre. Anhänger halten weiße Taferln mit der Aufschrift „Bodenständig. Steirisch. Mutig“ in die Höhe. Das Zelt ist mit dreieinhalb Tausend Besuchern randvoll. Auf dem Parkplatz neben dem Autodrom stehen Busse aus allen Landesteilen. Mütter kommen mit Kinderwagen, zum Autodrom? „Nein, zum Herbert“. Kinder, gekleidet wie fürs Spalier einer Trachtenhochzeit, jubeln und schwenken rotweißrote Gratisfahnen, sie tun es, weil es die Eltern auf den Bänken stehend tun. Ein Ordner erinnert an die Zeit nach Ibiza, als man hinten Holzbuden aufstellen hat müssen, um die Leere zu kaschieren. Das war einmal.

Die Stimmung im Zelt erreicht ihren Siedepunkt, als Herbert Kickl, der Wahlsieger, mit Landesparteichef Mario Kunasek Einzug halten. Für kurze Zeit geht der Herold inmitten der übergroßen Fahnen und im Pflug der Bodyguards verloren. Man kann ihn für Momente nur erahnen. Es ist das erste Bad in der Menge nach dem historischen Triumph. Ein Kreidebad. Keine Fahndungslisten, kein Schwitzkasten gegen ORF-Satiriker, die Regie gab Selbstkontrolle aus. Schäumen sollte nur das Bier. Kickl, in Jeans und Trachtenweste, zügelt Ton und Temperament. Der Spott für die Geschlagenen, die mit „schlotternden Knien“ am Live-Stream hängen würden, fällt milde aus, und auch die „Audienz“ beim Bundespräsidenten nennt er „eigentlich ganz in Ordnung“. Er habe diesem klargemacht, dass er von 1,4 Millionen Bürgern gewählt worden sei, das seien „deutlich mehr“ Stimmen gewesen als für jede andere Partei. Das Land brauche eine stabile Regierung, eine, die die Kluft zwischen Regierenden und Regierten nicht größer, sondern kleiner mache; FPÖ und ÖVP würden eine solche Regierung „mit starkem Überhang“ zustande bringen, und er, Kickl, habe in der Hofburg keinen Zweifel daran gelassen, dass er eine solche Regierung anführen wolle, „mit dem Titel Bundeskanzler“. Eine Dreierkoalition mit „pinken Stützrädern“ sei das „Allerletzte, was das Land brauche“. In diese Grube, die man „für mich ausgehoben hat“, werde er nicht hineinfallen. Er werde die Pläne durchkreuzen. Wie, das sagte der Redner nicht. Er sagte nur: Die Welle rolle. Sie rolle und rolle. Zuerst durch das Ländle, dann nur die Steiermark.

Als Kickl die Bühne verlässt und Mario Kunasek Platz macht, verlässt ein Teil der Besucher das Zelt. Auch der steirische FP-Chef hält sich ans Drehbuch und verzichtet auf Grelles und Schrilles. Er hat bis nach Mitternacht an der Rede gefeilt und hat sich vorgenommen, seine Mitbewerber von ÖVP und SPÖ kein einziges Mal beim Namen zu nennen. Kunasek spricht über bedrohte Spitäler, Pensionisten als Bittsteller und Sozialleistungen „für unsere Leut´ und nicht für „die, die unsere Kinder belästigen“. Zwischen diesen vertrauten Polen klingt die Ansprache über weite Strecken wie eine Einführungsvorlesung über die Bedeutung des Heimat- und Freiheitsbegriffs, nur, dass man im Hörsaal nicht zum Boden langt und den Bierkrug stemmt. Die Partei weiß: Das Feld draußen ist aufbereitet, man muss nicht mehr in die Erde greifen.

Zum Zeitpunkt, da Kunasek das Maß Bier absetzt, ist Herbert Kickl schon wieder auf dem Weg nach Wien. Offiziell ist von „Terminen, Gesprächen und Verantwortung“ die Rede, doch der wahre Grund für die flüchtige Visite ist die Virenlage: Der Held soll sich, wenn es bei den Verhandlungen um alles oder nichts geht, bloß nicht anstecken. Er darf nicht krank werden. Jetzt nur ja nicht zu viel Volk.