Am Rande des unspektakulären Staatsakts in der Hofburg tauchte in Beobachter- und Medienkreisen unvermutet die Frage auf, ob Karl Nehammer nach der erfolgten Demission und der gleichzeitigen Betrauung der Regierung mit der Fortführung der Verwaltung überhaupt noch Bundeskanzler ist – oder nur noch „Vorsitzender in der einstweiligen Bundesregierung“.
Im Zuge seiner kurzen Ansprache machte Bundespräsident Alexander Van der Bellen zunächst deutlich, dass er den von Kanzler und Vizekanzler angebotenen Rücktritt zur Kenntnis nehme und die Regierung ihres Amtes enthebe. Im selben Atemzug erklärte Van der Bellen allerdings, dass er „sämtliche Mitglieder der scheidenden Regierung bis zur Bildung einer neuen Regierung mit der Fortführung der Verwaltung“ und, so der genaue Wortlaut, „den Bundeskanzler mit dem Vorsitz in der einstweiligen Bundesregierung“ betraue.
Einer aus der Mitte wird mit Vorsitz betraut
Nach der Zeremonie wurde auf Nachfrage der Kleinen Zeitung von der Präsidentschaftskanzlei auf Artikel 71 der Bundesverfassung verwiesen, der die Einsetzung einer Interimsregierung festlegt. Darin heißt es wortwörtlich: „Ist die Bundesregierung aus dem Amt geschieden, hat der Bundespräsident … Mitglieder der scheidenden Bundesregierung mit der Fortführung der Verwaltung und einen von ihnen mit dem Vorsitz in der einstweiligen Bundesregierung zu betrauen.“ Will heißen: Einer aus der Mitte, in dem Fall Karl Nehammer, wird mit dem „Vorsitz in der einstweiligen Bundesregierung“ betraut. Die Funktion eines Bundeskanzlers sieht Artikel 71 nicht vor.
Zu eng gefasste Interpretation
In Regierungskreisen widerspricht man dieser eng gefassten Interpretation und erklärt, dass die Verfassung an vielen anderen Stellen einen Bundeskanzler vorsieht. So sei etwa im Passus über die Entstehung von Bundesgesetzen geregelt, dass nach der Beurkundung durch den Bundespräsidenten das neue Gesetz vom „Bundeskanzler gegenzuzeichnen“ sei – nicht von einem Vorsitzenden.
Kogler nicht mehr Vizekanzler
Das fügt sich in die diversen Kuriositäten, die im Vorfeld des Termins bekanntgeworden sind. Zum einen ist Werner Kogler nicht mehr Vizekanzler, sondern nur noch einfaches Mitglied der Bundesregierung, zum anderen musste man sich eines juristischen Kniffs bedienen, um die beiden Staatssekretärinnen Claudia Plakolm und Susanne Kraus-Winkler weiterhin im Amt zu belassen. Sie wurden nicht mit der Fortführung der Amtsgeschäfte betraut, sondern neu ernannt.