Als die FPÖ im August ihr Wahlprogramm präsentierte, wurde dies vielerorts als indirektes Koalitionsangebot an die ÖVP interpretiert. Vor allem im Wirtschaftsbereich: Steuern runter, Lohnnebenkostensenkung, Deregulierung, Innovationsförderung. Und zum Drüberstreuen: „Mehr Unterstützung für unsere Bauern“.

Dass das blaue Programm akzentuiert wirtschaftsliberal ausfiel, ist jedoch historisch wenig verwunderlich. Die FPÖ hatte als Partei nie andere Positionen vertreten. Allerdings gab es eine sehr prominente Gegenstimme: Herbert Kickl. Noch vor einem Jahr hatte der FPÖ-Chef einen Mindestlohn von 2000 Euro gefordert, deutliche Pensionserhöhungen und staatliche Preiseingriffe bei Treibstoff, Gas, Mieten und Lebensmittel. Als langjähriger blauer Sozialsprecher stand Kickl bisher für einen starken Sozialstaat. Der deutlich höhere Mindestlohn schaffte es aber nicht ins Wahlprogramm.

Überwachung von Messenger-Diensten für ÖVP „Koalitionsbedingung“

Schon 2017 stellten steuer- und wirtschaftspolitische Themen kein Hindernis für eine blau-türkise Koalition dar. Das wäre diesmal auch nicht anders. Doch an potenziellen Knackpunkten mangelt es nicht. Das betrifft die Zusammenarbeit auf persönlicher Ebene, aber auch inhaltliche Aspekte.

Eine Hürde ist die von der ÖVP im Wahlkampf propagierte Überwachung von verschlüsselten Messenger-Diensten. Sie wird von der FPÖ entschieden als „Massenüberwachung“ abgelehnt, Kanzler Karl Nehammer erhob jedoch dieses vergleichsweise kleine Vorhaben, etwas überraschend, wörtlich zur „Koalitionsbedingung“.

Mit Heinz-Christian Strache (FPÖ) konnte sich ÖVP-Chef Sebastian Kurz 2017 rasch auf eine Zusammenarbeit einigen.
Mit Heinz-Christian Strache (FPÖ) konnte sich ÖVP-Chef Sebastian Kurz 2017 rasch auf eine Zusammenarbeit einigen. © Expa/ Michael Gruber

Wichtig ist der FPÖ, auch schon seit längerem, der Ausbau der direkten Demokratie hin zu verpflichtenden Volksabstimmungen. 2017 war dies sogar eine Koalitionsbedingung und die Blauen konnten sie - mit hohen Hürden - auch ins Regierungsprogramm verhandeln. Allerdings hatte damals auch Sebastian Kurz Volksinitiativen nach Schweizer Vorbild gefordert. Mit der ÖVP unter Nehammer wird das schwierig, direkte Demokratie fand im türkisen Wahlprogramm gar keine Erwähnung mehr.

Die größten Schwierigkeiten für eine Zusammenarbeit zwischen ÖVP und FPÖ liegen aber gewiss im außen- und europapolitischen Bereich. Die Freiheitlichen lehnen „Sky Shield“ ebenso ab wie jegliche Zahlungen an die EU-Friedensfazilität. Die EU-Sanktionen gegen Russland will die FPÖ aufgehoben wissen. Überhaupt möchten die Blauen sämtliche internationalen Abkommen und völkerrechtliche Verträge „evaluieren“.

EU-Verhältnis der FPÖ als große Hürde

Im Jahr 2017 waren die großen geopolitischen Themen weit weniger bedeutsam als gegenwärtig. Die FPÖ erhielt damals das Außenministerium, Ressortchefin wurde Karin Kneissl. Sie lebt heute in Russland und wurde kürzlich von Präsident Wladimir Putin zur Botschafterin für den Amurtiger ernannt.

Die EU-kritische Linie der FPÖ führte vor sieben Jahren zu einem Novum: Die EU-Agenden wurden aus dem bis dahin zuständigen Außenministerium herausgelöst, bis heute ressortieren sie im Bundeskanzleramt. Das Verhältnis der FPÖ zur EU wäre für eine türkis-blaue Koalition eine Herausforderung - umso mehr als sich die blaue Rhetorik noch verhärtet und zudem das Stärkeverhältnis der Parteien umgekehrt hat.

Ein sinngemäßes „Zurück zum Nationalstaat“ zieht sich durch das gesamte FPÖ-Programm bis hin zur Einschränkung des Uni-Zugangs für ausländische Studenten. Der „Digital Services Act“, der die großen IT-Riesen einghegen soll, ist für die FPÖ ein „Zensurinstrument“, Klimastrafen durch die EU wollen die Blauen nicht bezahlen.

Geteiltes Ziel, unterschiedliche Wege

Auch in Sachen Asyl und Migration sind die Unterschiede der beiden Parteien größer, als sie auf den ersten Blick scheinen. Zwar sind sich beide Parteien im Ziel einig, irreguläre Einwanderung zu verhindern, die Ansätze sind jedoch grundverschieden. Die ÖVP agiert innerhalb des rechtlich und politisch Möglichen, die Freiheitlichen beschreiben in ihrem Programm sehr deutlich, dass sie das europäische und völkerrechtliche Rahmenrecht umgehen wollen: Sozialleistungen nur an österreichische Staatsbürger, kein Familiennachzug, (fast) keine medizinische Versorgung für Asylwerber, die Errichtung von Grenzzäunen und Ermöglichung von Pushbacks. Mit der ÖVP wird die FPÖ dies kaum umsetzen können.