Praktisch die gesamte ÖVP-Spitzenriege war am Tag nach der tektonischen Plattenverschiebung in der Republik auf Tauchstation. Am Dienstag tagen die türkisen Gremien, um die historische Niederlage, die zugleich aber immer noch auch eine Kanzleroption bereithält, in der Tiefe zu analysieren und erste strategische Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen zu ziehen.
Diesbezüglich herrscht in der ÖVP eine gewisse Dringlichkeit, müssen doch mit Vorarlberg am 13. Oktober, insbesondere aber am 24. November in der Steiermark zwei schwarze Kernländer in Landtagswahlen dem blauen Ansturm Paroli bieten. Südlich des Semmering schaffte die FPÖ am Sonntag Platz eins vor der ÖVP. Hier hat Landeshauptmann Christopher Drexler die Wahl bereits als ultimatives Duell gegen die Blauen mit Mario Kunasek an der Spitze ausgerufen.
So geschlossen die ÖVP nach außen wirkt und auftritt, wenn man genauer in die Partei hineinhört, so werden Brüche und Differenzierungen sichtbar. Gemeinsam ist dabei allen Stimmen, dass sich keine die Situation, in der die Partei wie die Republik steckt, schönredet. Von daher ist mit langen, sehr langen Koalitionsverhandlungen zu rechnen, wie Wirtschaftsbundobmann und WKO-Präsident Harald Mahrer gegenüber der Kleinen Zeitung erklärt.
Zu diesen sagt der ehemalige ÖVP-Klubobmann und Erste Nationalratspräsident Andreas Khol: „Ich halte eine türkis-rote Koalition, obwohl es sich rechnerisch ausgehen würde, für politisch zu instabil und angesichts der fortgesetzten Grabenkämpfe in der SPÖ für zu riskant.“ Für eine stabile Regierung werde es einen dritten Partner brauchen, ist er überzeugt. Und: Jede neue Koalition müsse festschreiben, dass es kein gegenseitiges Überstimmen gebe, auch nicht in U-Ausschüssen. Dies sei eine der zentralen Lehren aus den Erfahrungen von Türkis-Grün.
Ehrliche Analyse der Niederlage
Konsens ist auch, dass die ÖVP selbst nicht zur Tagesordnung übergehen kann. „Die Partei muss zeigen, dass sie die Signale zur Erneuerung verstanden hat“, so Khol, denn: „Ein Weiter-so können wir uns nicht mehr leisten.“ Mahrer formuliert es so: „Mit jeder Regierungsbildung überlegt sich ein Parteichef, wie er sein Team abhängig von der Ressortzuteilung zusammenstellt.“
Aber wie hält es die ÖVP nun mit der FPÖ? „Kickl ist jetzt am Zug“, sagt ein am Sonntag wiedergewählter ÖVP-Abgeordneter aus Wien. Der FPÖ-Chef müsse als Wahlsieger auf die anderen Parteien zugehen und Angebote zur Zusammenarbeit vorlegen. Die türkise Ansage ‚nicht mit Kickl‘ bleibe aber aufrecht. Zu dessen größten Sorgen zählt nun, dass die eigene Partei sich um eine ehrliche Analyse der schmerzlichen Niederlage herumschwindelt. Das will auch Mahrer vermeiden und sieht dabei nicht nur die ÖVP gefordert: „Eine klare Erkenntnis dieser Wahl ist, dass sich alle Parteien, und insbesondere auch die ÖVP, dass sie sich inhaltlich wie in der strategischen Kommunikation weiterentwickeln müssen.“