Im ÖVP-Zelt vor der Bundesparteizentrale neben dem Wiener Rathaus ergibt sich kurz vor 18 Uhr folgender kleiner Wortwechsel. „Herr Abgeordneter, darf ich Sie um eine kurze Analyse dieses Wahlergebnisses bitten?“ Dieser erwidert mit einem Lächeln: „Meine Kurz-Analyse lautet: kein Kurz.“ Es war Sebastian Kurz, der die ÖVP vor fünf Jahren auf 37 Prozent führte.

Zu diesem Zeitpunkt ist im Zelt längst Ernüchterung auf den einstudierten Jubel gewichen, der aufbrandete, als um kurz nach 17 Uhr die erste Hochrechnung über die Bildschirme flimmerte. Da platzte live im TV der Traum von der viel beschworenen Aufholjagd wie eine Seifenblase, doch die Menge jubelte und klatschte, als hätte die ÖVP gerade eine Sternstunde erlebt. Dabei war es eine historische Schlappe, das größte Minus der Partei seit 1945 – und immerhin dem vor der Bühne aufgereihten Regierungsteam war das, dem Mienenspiel nach, durchaus bewusst. Wohl auch deswegen hielt sich die erste Reihe der Partei mit Kommentaren zu diesem Zeitpunkt zurück.

Dass unter Türkisen dennoch keine Depressionen aufkamen, hatte weniger mit dem ausgegebenen Bier und Brötchen zu tun, sondern mit der anderen Wahrheit dieses Wahlergebnisses: Platz zwei war die Latte, über die Spitzenkandidat Karl Nehammer springen musste – und das gelang, noch dazu mit Abstand auf die drittplatzierte SPÖ. Das Kanzleramt könnte also gerettet sein.

Trotzdem war die Ernüchterung unter den ÖVP-Anhängern mit Händen zu greifen. Hier hatten sich alle, befeuert vom EU-Wahlergebnis und den Umfragen, die sogar Platz eins für möglich hielten, mehr erwartet. Dass die Nehammer-ÖVP im Kampf um die ehemaligen Kurz-Wähler als haushoher Verlierer gegen die FPÖ von Herbert Kickl hervorgegangen ist, wollen und können an diesem Abend viele rational nicht nachvollziehen. Angesichts von Milliarden-Euro-Projekten wie der Abschaffung der kalten Progression oder den Ausgleichszahlungen für die Teuerung schlug an der Basis die Enttäuschung angesichts der harschen Abfuhr pure Ratlosigkeit um.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Generalsekretär Christian Stocker bereits die Linie vorgegeben. Beim ersten Live-Einstieg im ORF gab er folgende Devise aus: Erstens, die ÖVP stehe geschlossen hinter Karl Nehammer, zweitens, die Absage an eine Koalition mit Kickl gelte auch nach der Wahl, und, drittens, es sei zwar schade, dass es für Platz eins nicht gereicht habe, aber die ÖVP habe kontinuierlich im Wahlkampf zugelegt, weshalb es doch eine Aufholjagd gewesen sei. Irgendwie halt.

Aber glaubt die Partei wirklich, sie kann einfach so weitermachen wie bisher?

Die ÖVP habe Tradition beim folgenlosen Wegwischen schlechter Wahlergebnisse, stellt der selten um klare Worte verlegene Tiroler Abgeordnete Franz Hörl fest. Er münzt dies auf die schwarz/türkisen Landesparteien, an Nehammer will auch er nicht rütteln: Der Kanzler habe einen ordentlichen Wahlkampf hingelegt.

Ähnlich düster sieht ein anderer Anhänger die neuen Aussichten: Ihm fehle die Fantasie, wie Türkis und Rot, die großen Wahlverlierer, nun eine stabile Regierung samt Antworten auf die wichtigsten Zukunftsfragen, formen könnten. Ob mit oder ohne einen Dritten im Bunde.

Nehammer selbst verscheucht später solche düsteren Gedanken aus türkisen Köpfen. Kaum ist der ÖVP-Chef bei den eigenen Fans und Funktionären angekommen, wird geherzt, gelacht, umarmt und angestoßen. Gute Laune kann er, der Kanzler. Die Politik baut sich ihre eigene Wirklichkeit. Am Dienstag tagen die Parteigremien. Nehammer darf mit einer großen Dankbarkeitsadresse rechnen.