In Fernsehdiskussionen, auf Wahlkampfveranstaltungen und auf Plakaten kommen außenpolitische Themen kaum vor. Auch in den Alltagsgesprächen der Menschen in Österreich spielen sie eine untergeordnete Rolle. Das zeigt eine aktuelle Befragung der Universität Innsbruck. Inflation und Migration werden am häufigsten besprochen, internationale Konflikte sind eher hintergründig Thema. „Österreich ist hier kein Ausreißer. Andere Themen sind den Menschen im Alltag einfach näher“, erklärt Politikwissenschafter Martin Senn von der Universität Innsbruck.
Neutralität, aber wie?
Dabei wäre eine intensivere Debatte über die Rolle Österreichs in der Weltpolitik laut Senn wichtig. „Wir sollten uns überlegen: Was bedeutet das neue geopolitische Gefüge für Österreich? Welcher weltpolitische Akteur will Österreich sein?“ Die zuletzt von Türkis-Grün überarbeitete Sicherheitsstrategie sei ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung. Wenig Fortschritt sieht der Politologe hingegen beim Thema Neutralität, das die meisten Parteien wie ein Tabuthema behandeln. „Man kann die Neutralität behalten wollen. Aber man muss sich dann auch dringend die Frage stellen, wie man diese Neutralität gestalten möchte und welche Ressourcen es braucht“, sagt Senn zur Kleinen Zeitung.
Nur im Wahlprogramm der Neos kommt Neutralität nicht vor. ÖVP, SPÖ, Grüne und FPÖ bekennen sich in ihren Programmen dagegen klar zur Neutralität. Sie pochen zudem darauf, dass sich Österreich international für Frieden engagieren und bei geopolitischen Konflikten vermitteln soll. Allerdings stellt sich Österreich bei Konflikten politisch oft klar auf eine Seite, wie etwa beim Ukraine-Krieg: Als EU-Mitglied trägt Österreich die Sanktionen gegen Russland mit. Das ist laut Martin Senn auch richtig, weil es im Völkerrecht ein klares Verbot von Angriffskriegen gibt. „Ein sanktionierender Akteur kann aber nicht wirklich vermitteln“, so Senn. Bei der Rolle als Brückenbauer sei auch regionale Expertise entscheidend, über die ein Land verfügen muss.
„Eskalationskurs“ zum „dritten Weltkrieg“
Alle Parlamentsparteien bis auf die FPÖ unterstützen die Sanktionen gegen Russland und stehen solidarisch an der Seite der Ukraine. Im blauen Wahlprogramm werden die Sanktionen als „verantwortungslos“ bezeichnet. Die Freiheitlichen werfen der Europäischen Union einen „Eskalationskurs“ vor, der in einem „dritten Weltkrieg“ enden könnte. Sie sind auch als einzige Partei gegen das Raketenabwehrsystem „Sky Shield“.
Im geopolitischen Machtgefüge geht Europa gegenüber anderen Großmächten oft unter. Als eine Ursache dafür gilt, dass die Europäische Union anders als China oder die USA bei weltpolitischen Fragen nicht mit einer Stimme spricht. Zum Beispiel stimmen die Mitgliedsstaaten bei Abstimmungen der Vereinten Nationen einzeln und oft sogar unterschiedlich ab.
Mehr oder weniger EU?
Die Neos greifen das Problem auf und wollen die EU-Außenbeauftragte zu einer entscheidungsmächtigen Außenministerin machen, um die europäische Stimme in der Welt zu stärken. Außerdem wollen die Liberalen das Einstimmigkeitsprinzip im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs abschaffen. Die Militärs der EU sollen Teil einer gemeinsamen europäischen Armee werden.
Völlig anders sehen es die Freiheitlichen, die die EU sogar weiter einschränken und möglichst viele Kompetenzen auf die nationale Ebene zurückholen wollen. Gerichtshöfe wie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) oder den Europäischen Gerichtshof (EuGH) sollen nach blauen Vorstellungen eingeschränkt werden, vor allem, wenn es um Gesetze im Bereich Migration geht. Kritische Töne gegenüber Brüssel gibt es auch im ÖVP-Programm: Die EU dürfe nicht „Weltmeister der Überregulierung“ sein, sondern müsse sich auf Wirtschaft und Stabilität konzentrieren. Die SPÖ fordert einen stärkeren Fokus auf soziale Gerechtigkeit.
Israel als „Staatsräson“
Große Unterschiede in den Plänen der Parteien gibt es auch beim Nahostkonflikt. Prononciert pro-israelisch ist das Wahlprogramm der ÖVP. Die Sicherheit Israels ist für die Volkspartei „Staatsräson“, weshalb sie den kulturellen Austausch mit dem Land vertiefen und neben Antisemitismus auch Antizionismus nicht tolerieren will. Langfristig wollen die Türkisen eine Zweistaatenlösung. Darauf pochen auch SPÖ und Grüne. In den Programmen von FPÖ und Neos kommt der Nahostkonflikt gar nicht vor.
Die Grünen setzen außerdem stark auf Entwicklungszusammenarbeit. Europa soll die ärmsten Staaten beim Klimaschutz unterstützen, der Hunger müsse weltweit bekämpft werden. Bei der Bewältigung und Prävention von Konflikten sollen Frauen eine größere Rolle einnehmen. Auch die SPÖ will Frauen international stärker berücksichtigen und sich mit einer „feministischen Außenpolitik“ gegen jegliche Form von Diskriminierung einsetzen.