Deutschland strebt unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) einen Kurswechsel in der Asylpolitik an. Schon diese Ankündigung sorgt für erhöhten Puls in Europa, aber auch bei den Nachbarländern – allen voran Österreich – und deren Nachbarländern und deren Nachbarländern. Von den eine Million Asyl-Erstantragsstellern in der EU entfielen 2023 ein Drittel allein auf Deutschland. Lange zeigte sich das politische Berlin stolz auf diese Leistung - und zuversichtlich, es auch weiter zu schaffen. Damit ist es jetzt vorbei.
Am Dienstagnachmittag trafen sich Vertreter der Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP mit CDU/CSU, der größten Oppositionskraft, und Bundesländern. Zentrale Frage war, ob und wie Geflüchtete noch an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden können. Schon tags zuvor hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) vorübergehende Grenzkontrollen an allen deutschen Landesgrenzen angekündigt.
Doch der Ampel gingen die Vorschläge von CDU/CSU deutlich zu weit, forderte diese doch, eine Notlage auszurufen, um anschließend umfassende Zurückweisungen an den Grenzen vornehmen zu können. So weit wollen SPD, Grüne und FDP nicht gehen. Entsprechend beklagte CDU-Chef Friedrich Merz via „X“, die Regierung „kapituliert vor der Herausforderung der irregulären Migration“.
Dennoch setzt die Koalition auf schärfere Regeln. Wer bereits einen Asylantrag in einem anderen EU-Staat gestellt hat, werde künftig mittels eines beschleunigten Verfahrens in den zuständigen EU-Staat zurückgeschickt, erläuterte Faeser nach den geplatzten Gesprächen. Bis dahin sollen diese Personen unter Aufsicht oder auch Haft gestellt werden, um zu verhindern, dass sie untertauchen. Das entspricht den gelten EU-Regeln, verlangt aber Kooperation mit den betroffenen Staaten. Auch Abschiebungen sollen konsequent umgesetzt werden.
Grund für den Kurswechsel sind weniger die aktuellen Flüchtlings- und Migrationszahlen, die sich auf vergleichsweise niedrigem Niveau bewegen, sondern der politische Wetterumsturz nach mehreren islamistischen Gewalttaten. Die in Teilen rechtsextreme AfD erlebt einen Höhenflug, während die Ampel-Parteien bei den jüngsten Landtagswahlen eine herbe Abfuhr kassierten. Und 2025 stehen Wahlen in ganz Deutschland an.
Österreich will keine Migranten zurücknehmen
„Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden. Da gibt es keinen Spielraum“, erklärte Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) vorsorglich schon einmal vor den gescheiterten Gesprächen in Berlin. Falls doch Personen zurückgewiesen werden sollten, will Österreich diese mit einem Aufenthaltsverbot belegen. Auch Polen reagierte mit Kritik auf Berlins Pläne. Nun wird die Sache wohl nicht so heiß gegessen.
Noch ist aber offen, wie wirkungsvoll der neue Kurs sein wird – und wie viel Symbolik mit Blick auf kommende Wahlen dahinter steckt. Bereits 2023 hat Österreich 23.000 Personen übernommen, denen Deutschland rechtswidrig die Einreise verweigerte. Und das ohne großen Wirbel. Österreich selbst hat laut Auskunft des Innenministeriums heuer rund 700 Personen zurückgewiesen.
Die ganze Debatte erinnert in ihren Grundzügen an die Schließung der Balkanroute, die sich 2016 Sebastian Kurz für sich und die ÖVP auf die Fahnen heftete. Am Höhepunkt einer Massenmigration über die Türkei, Griechenland, Serbien und Ungarn kamen Hunderttausende nach Österreich und Deutschland. Die Sperre nationaler Grenzen zunächst in Ungarn und Serbien führte zu einer Kettenreaktion. Nachhaltige Entlastung brachte jedoch erst ein milliardenschweres Abkommen der EU mit der Türkei.
Doch mit 2015/16 ist die aktuelle Situation nicht zu vergleichen. Das Innenministerium führt die geringen Zahlen auf die Grenzkontrollen zu Ungarn, Slowenien und Italien zurück, weshalb auch nur wenige Flüchtlinge über Österreich nach Deutschland gelangen würden. Das Gros der Migranten in Deutschland komme derzeit über die Schweiz sowie Polen und Tschechien.