Guten Morgen!
Ein politisch höchst pikantes Duo fand sich in den frühen Abendstunden zu der - an den Lichtverhältnissen erkennbaren - Aufzeichnung der Sommergespräche am Traunsee ein. SPÖ-Chef Andreas Babler wurde von ORF-Moderator Martin Thür in der leider verregneten oberösterreichischen Idylle in Empfang genommen. Der Traiskirchner Bürgermeister hat es Thürs journalistischer Akribie zu verdanken, dass er den Chefsessel in der Löwelstraße übernehmen und das gestrige Sommergespräch bestreiten durfte.
Der Moderator hatte nämlich das Ergebnis der Kampfabstimmung beim Linzer Parteitag im Juni 2023, das den burgenländischen Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil als neuen Parteichef ausgewiesen hatte, einer peniblen Prüfung unterzogen. Thür stieß dabei auf Ungenauigkeiten, die letztlich dazu geführt haben, dass das verlautbarte Ergebnis korrigiert werden musste – und zur Verblüffung aller Babler zum neuen Chef der ehrwürdigen Sozialdemokratie erklärt wurde.
Geschont wurde Babler von Thür nicht, aber das war denn auch gar nicht notwendig, da der SPÖ-Chef zu Beginn und gegen Ende der Unterredung von sich aus zu einem Rundumschlag ansetzte – kaum gegen den politischen Gegner, sondern vor allem gegen die eigene Partei. So viel Selbstkritik an die eigene Adresse gerichtet habe ich von einem Parteichef noch selten gehört, am ehesten noch von Christian Kern, als er die SPÖ übernommen hat (“Selbstvergessenheit und Machtversessenheit“).
Die Massivität überraschte, offenbar redete sich Babler bei tiefhängenden Wolken den Frust, der sich in den letzten Tagen aufgestaut hatte, von der Seele. Der SPÖ-Chef sparte zwar mit direkter Kritik an Doris Bures, der Nummer zwei auf der Bundesliste, die kein gutes Haar an der Programmatik ließ. Um dann so richtig auszuholen.
Was ihn umtreibe, sei, dass das Bures-Papier geleakt wurde. „Das beschäftigt mich. Ich werde es stoppen müssen.“ Um dann grundsätzlich die Ursache für die innerparteilichen Widerstände anzusprechen. „Früher war es üblich, dass eine kleine Runde ein Papier vorbereitet hat und es demokratisch durchgewunken hat.“ Er sei einen neuen Weg gegangen. „Das ist das Problem der SPÖ, dass immer jemand glaubt, öffentlich bremsen zu müssen.“
Die seit dem Wochenende hin und herwogende Streitfrage, ob er, Babler, den Linzer Bürgermeister Klaus Luger zum Rücktritt gezwungen habe oder ob dieser von sich aus den Schritt gesetzt habe, quittierte der Traiskirchner Bürgermeister mit der Bemerkung: „Völliger Kindergarten, das zeigt ein wenig, wie die SPÖ denkt. Sein Öffnungsprozess habe zur Entfremdung beigetragen: „Ich weiß, dass es da Widerstand gibt. Man muss in der Politik klare Kante zeigen.“
Babler legte in der knapp einstündigen Unterredung ein Bekenntnis zur Reichensteuer, zur Einführung einer Kindergrundsicherung, die zum Teil die Mindestsicherung ablösen soll, aber auch zur Neutralität und zur Wehrpflicht ab. Gewisse Aussagen erzwingen einen Faktencheck: etwa die Behauptung, dass sein Modell, unsolidarische Länder wie Ungarn, das Zehntausende Asylwerber durchgewunken hat, die dann in Österreich gestrandet sind, zu klagen, zu 75 Prozent weniger Flüchtlingen geführt hätte. Oder dass seine ausgabenseitigen Programme, die mit 12,5 Milliarden beziffert werden, Einnahmen in Höhe von 14 Milliarden gegenüberstehen.
Rhetorisch und thematisch blieb Babler diesmal deutlich fokussierter. Auffällig war, dass er dem Moderator praktisch nie ins Wort fiel bzw. sofort seinen Redefluss stoppte, wenn Thür einen Einwand vorbrachte. Solche Disziplin hat Seltenheitswert – ein zarter Verweis auf das Sommergespräch nächsten Montag mit dem Kanzler sei erlaubt.
Babler kehrte am Traunsee den Mann der roten Basis hervor, der gegen das rote System, das rote Establishment, die Parteigranden aufbegehrt. Ob die Rechnung in knapp fünf Wochen bei der Nationalratswahl aufgeht, wird sich zeigen. Es ist zu befürchten, dass ihn die Landesorganisationen in der Hochphase des Wahlkampfs im Regen stehen lassen werden. Ohne deren Rückendeckung bleibt Babler ein einsamer Kämpfer auf weiter Flur.
Einen schönen Dienstag wünscht
Michael Jungwirth