Guten Morgen!
Wahrscheinlich hatte sich Herbert Kickl das gestrige Sommergespräch am Traunsee, das zwei, drei Stunden vorher aufgezeichnet wurde, etwas anders vorgestellt. Vergangene Woche war der FPÖ-Chef bei Oe24 zu Gast - wohl auch als Probegalopp, als Generalprobe, um sich für den Termin am Montagabend warmzulaufen. Ohne dem Kollegen des Privatsenders nahezutreten: Kickl hatte letzte Woche dort leichtes Spiel - dank der offenen Fragen. Wie wollen Sie die Festung Europa sicherstellen? Warum sind Sie gegen Messenger-Dienste? Wie sieht Ihr Wirtschaftsprogramm aus? Wollen Sie die Sanktionen gegen Russland beenden? Kickl konnte, ohne groß unterbrochen zu werden, in aller Ruhe weit ausholen, seine Botschaften präzise formulieren, sich als verantwortungsbewusster Politiker positionieren und einen Kontrapunkt zu dem Image setzen, das von ihm als polternder, aggressiver, bisweilen untergriffig agierender Spitzenmann, der auf Parteitagen gegen das „System“ vom Leder zieht, existiert. Ein Interviewstil, der durchaus auch seine Berechtigung hat.
ORF-Kollege Thür durchkreuzte die Pläne. Im letzten Jahr war Kickl bei den voraufgezeichneten Sommergesprächen noch von der Sorge erfüllt, dass der ORF die eine oder andere rhetorische Wuchtl, die er gesetzt hatte, rausschneiden würde. Diesmal kam er gar nicht dazu. Wann immer der FPÖ-Chef mit blauen Widersprüchlichkeiten konfrontiert wurde, warf er dem Moderator „unsauberen Journalismus“ vor. Mindestens fünf Mal bediente er sich dieser rhetorischen Finte, als er zum blauen Zickzackkurs bei der Messenger-Überwachung Stellung nehmen sollte, mit der Frage konfrontiert wurde, ob die Ermittlungen gegen Sicherheitssprecher Jenewein in der Causa Ott mit dem blauen Anspruch einer „sauberen Politik“ vereinbar seien, warum er einen Treuhandvertrag zu einer Kärntner Werbeagentur geschlossen habe, ob Kickl als stets gut verdienender Politiker mit fünfstelligem Gehalt nicht doch auch „Teil des Systems“ sei, was er dazu sage, dass die einstige FPÖ Gesundheitsministerin Hartinger-Klein die türkisblaue Patientenmilliarde als Marketinggag bezeichnet hatte. Kickls Souveränität und Schlagfertigkeit kaschieren eine ausgeprägte Dünnhäutigkeit bei unangenehmen Fragestellungen.
Um die Unternehmer auf seine Seite zu ziehen und die ÖVP in Hinblick auf Koalitionsverhandlungen unter Druck zu setzen, legte der blaue Spitzenkandidat ein Bekenntnis zu einem wirtschaftsfreundlichen Kurs ab. Mit ihm werde es keine neuen Steuern geben. Sollte die ÖVP mit Babler regieren, würden Unternehmen in großer Zahl das Land verlassen. Anders als bei Oe24 fand er nicht die Zeit, einzelne Maßnahmen vorzustellen. Im Laufe der Woche sollen ohnehin die Details der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Nicht überraschend war, dass Kickl im Sommergespräch besonders die ÖVP massiv angegangen ist. 2017 und 2019 hat Sebastian Kurz im großen Stil FPÖ-Wähler auf seine Seite gezogen, diese gilt es zurückzuholen. Eigentlich sind sie längst retour.
In Interviews, Elefantenrunden und Duellen in den verbleibenden 40 Tagen bis zum Wahlsonntag wird der FPÖ-Chef den Beweis anzutreten versuchen, dass, wie es so schön heißt, Kickl Kanzler kann, die türkise Erzählung, mit Kickl kein Staat zu machen sei, jeglicher Grundlage entbehre und ein mögliches Njet des Bundespräsidenten demokratiepolitisch verantwortungslos sei.
Wie wohl es in der Hofburg, so meine Informationen, durchaus die Überlegung gibt, dem FPÖ-Chef bei einem etwaigen Wahlsieg eine Art Regierungsbildungsauftrag zu erteilen - im Wissen, dass sich Kickl bei den anderen Parteien eine Abfuhr holt und dann mit leeren Händen in die Hofburg zurückkehrt.
Einen schönen Dienstag wünscht
Michael Jungwirth
PS: Der heutige Tag verspricht politisch spannend zu werden, wenn Umweltministerin Gewessler die Eckpunkte des lange schubladisierten Nationalen Klimaplans präsentiert, in dem indirekt Einschnitte bei Pendlerpauschale, Diesel- und Dienstwagenprivileg angedacht werden.