Jedes Kind muss gleich viel wert sein. Dieser Satz begleitet die Politik seit Jahrzehnten. Durch Bekanntwerden der hohen Sozialhilfe für eine siebenköpfige Familie aus Syrien erlebt er wieder eine Renaissance – als Zankapfel vor allem zwischen ÖVP und SPÖ.
Die Losung, wonach dem Staat „jedes Kind gleich viel wert sein muss“, ist ursprünglich in den 1970er-Jahren von der SPÖ unter Kanzler Bruno Kreisky propagiert worden. Die in seiner Amtszeit geschaffenen Sachleistungen wie Schülerfreifahrt, Schulbuchaktion und Eltern-Kind-Pass kamen bewusst allen Kindern zugute. Aus Prinzip. Sie sind bis heute in Kraft. Doch Kreiskys Steuerreform 1972, bei der unter anderem Freibeträge für Kinder gestrichen wurden (zugunsten anderer Leistungen), hielt nur 20 Jahre. Dann machte ihr der Verfassungsgerichtshof den Garaus.
ÖVP setzte Mehrkind-Förderung 1992 durch
Damals fand auch die rote Devise aus der Kreisky-Zeit wieder Eingang in die politische Debatte. Die SPÖ sah ihren Leitspruch nicht mehr erfüllt, da kinderreiche Familien mit höheren Einkommen durch die Wiederkehr der steuerlichen Begünstigungen mehr Geld vom Staat erhalten würden. Über Monate stritten die gemeinsam regierenden SPÖ und ÖVP um eine neue Regelung.
Die Volkspartei forderte damals eine „Mehrkindstaffel“, also eine progressive Förderung bei mehreren Kindern. Das Argument: Bei mehreren Kindern sei eine größere Wohnung und ein großes Auto notwendig, gleichzeitig könne der erziehende Elternteil kaum noch einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen. Generalsekretärin der ÖVP war damals Ingrid Korosec, die heute dem Seniorenbund präsidiert. An die Debatte der Neunziger kann sie sich noch gut erinnern. „Und ich sehe es nach wie vor so“, sagt Korosec zur Kleinen Zeitung.
SPÖ gegen „Karenzgeld für alle“
Die Regierung konnte sich noch im Jahr 1992 auf einen Kompromiss einigen. Der steuerliche Kinderfreibetrag kehrte zurück, dazu wurde der Alleinverdienerabsetzbetrag eingeführt. Hinzu kamen auch neue, direkte Transferleistungen, damit Familien unabhängig ihrer Steuerpflicht unterstützt werden. Und die ÖVP setzte ihren Wunsch nach einer Mehrkindstaffelung als Absetzbetrag durch.
Ende der Neunziger-Jahre kehrte die Debatte um den „gleichen Wert“ aller Kinder zurück. Die SPÖ wollte die Mehrkind-Förderung abschaffen, biss sich aber an der ÖVP die Zähne aus. Auf der anderen Seite konnte die Volkspartei ihrem Wunsch nicht durchbringen, das Karenzgeld, das damals an Versicherungszeiten und Erwerbstätigkeit geknüpft war, auf Nicht-Berufstätige auszuweiten.
Auf einmal war es die ÖVP, die der alten Kreisky-Losung das Wort redete, manchmal auch in Abwandlung, wonach „alle Mütter dem Staat gleich viel wert“ sein müssten. Unter Schwarz-Blau, und unter heftigen Protesten der SPÖ, wurde das Kindergeld für alle umgesetzt.
Bei Sozialhilfe der konträre Weg
Die erhöhte Förderung für kinderreiche Familien blieb den Sozialdemokraten ein Dorn im Auge. Wieder in der Regierung, unternahmen sie einen erneuten Anlauf zur Abschaffung, auf den letzten Metern der Verhandlungen setzte sich doch die ÖVP durch. Die Subvention wanderte aber aus dem Steuersystem als Direktförderung zur Familienbeihilfe („Mehrkindzuschlag“). Wie das Kindergeld für alle hat auch dieser Zuschlag bis heute Bestand.
In der Sozialhilfe ging die ÖVP gemeinsam mit der FPÖ 2019 dann aber einen völlig konträren Weg. Je mehr Kinder, desto geringer die Leistung. Für das erste Kind gab es rund 220 Euro pro Monat, ab dem dritten nur mehr 44 Euro. Diese Regelung hob der Verfassungsgerichtshof nach nur wenigen Monaten auf, in den Ausführungsgesetzen behielten aber alle Länder, bis auf die SPÖ-regierten Wien, Burgenland und Kärnten, eine kleinere Differenzierung bei. In der Steiermark von 242 auf 202 Euro ab dem vierten Kind, in Niederösterreich sinkt der Betrag aber doch auf die Hälfte.
„Ich gebe zu, das ist ein Widerspruch“, sagt Ingrid Korosec. Bei der Familienbeihilfe werde bei mehr Kindern erhöht, bei der Sozialhilfe reduziert, „das ist eine Diskrepanz“. Die prominente ÖVP-Politikerin mahnt von der nächsten Bundesregierung eine Reform ein. Auch sei eine bundesweit einheitliche Regelung nötig. Auf der anderen Seite, so Korosec, müsse bei der Sozialhilfe viel mehr auf Sachleistungen gesetzt werden, um Missbrauch zu verhindern.