Experten etwa vom IHS, Wifo und dem Fiskalrat plädierten nach Jahren der Milliardendefizite und angesichts des prognostizierten hohen Budgetdefizits bis 2028 jüngst für kurzfristige Sparpakete in Milliardenhöhe. "Ich habe da eine gegenteilige Auffassung dazu", entgegnete Bundeskanzler Karl Nehammer im APA-Interview. Es sei wichtig, darüber zu reden, wie man wieder mehr Wachstum in Österreich erreiche, also Unternehmen und Industrie zu entlasten und ihnen die Möglichkeit für Investitionen zu geben. "Durch mehr Wirtschaftswachstum habe ich auch die Chance, tatsächlich das Budget zu stabilisieren." Maßnahmen will der Kanzler etwa bei der Besteuerung von Überstunden oder den Lohnnebenkosten setzen. "Die Wettbewerbsfähigkeit, das ist ein großes Thema, und über diese Wettbewerbsfähigkeit dann wieder mehr Wachstum zu generieren, das halte ich für sinnvoll."

Wahlziel von Nehammer: „Erster zu werden“

Man nehme die Ermahnungen und Warnungen durchaus ernst, betonte Nehammer, verwies aber gleichzeitig darauf, dass man "ein stabiles Budget" erreicht habe und "dass die Ratingagenturen uns bisher alle auf diesem Weg bestätigt haben". Im Gegensatz zu anderen Ländern in der Europäischen Union habe man auch keinen Mahnbrief vonseiten der Kommission erhalten, dass der Haushalt nicht funktioniere. Dass er Einsparungen nur nicht angreifen wolle, weil man sich mitten im Superwahljahr befindet, wies Nehammer zurück: "Nein, das Thema ist tatsächlich, dass wir in vielen Bereichen schon wirklich herzeigbare Erfolge erzielt haben", etwa mit der Investitionsprämie.

Sein Wahlziel für den 29. September sei es "natürlich, Erster zu werden", zeigte sich Nehammer zuversichtlich. Er wolle "ein möglichst gutes Ergebnis durch die Wählerinnen und Wähler" erhalten, "ich bewerbe mich auch wieder, den Auftrag zu erhalten, eine Regierung anzuführen". Auf eine Zahl wollte sich der Kanzler nicht festlegen. 2019 erreichte die ÖVP 37,5 Prozent. Es sei "nicht wirklich sinnvoll", Wahlergebnisse vergangener Jahre miteinander zu vergleichen, "weil es immer massiv auf die Umstände ankommt, wann und unter welchen Bedingungen die Wahlen stattgefunden haben", die vergangenen Jahre seien "mehr als fordernd" gewesen.

Mit der Frage, bei welchem Ergebnis er den Parteivorsitz zurücklegen würde, setze er sich nicht auseinander, er wolle schließlich den "größtmöglichen Auftrag der Wählerinnen und Wähler" erreichen. Im Wahlkampf könnten diese sehen, wer welches Programm habe. "Mir ist eben Leistung, Familie, Sicherheit besonders wichtig", unterstrich der ÖVP-Chef: "Die Fleißigen in den Vordergrund zu stellen", Familie "als Keimzelle des Staates" und im Bereich der Sicherheit der "Kampf gegen die illegale Migration" sowie Aufrüstung von Polizei und Bundesheer.

Nehammer: „Mit destruktiven Kräften kann man keine Regierung bilden“

In den Umfragen liegt allerdings die FPÖ seit Monaten an der Spitze. Nehammer gibt sich dennoch optimistisch und erinnerte an die EU-Wahl im Juni, "die tatsächlich dann den Echtbeweis gebracht hat, wie viel Umfragen wert sind". Die Wahl wurde freilich von den Freiheitlichen gewonnen. "Ja, aber der Abstand zwischen der Volkspartei und den Freiheitlichen war nur 0,8 Prozent, vorausgesagt wurde uns ein Abstand von zehn Prozent in manchen Umfragen", entgegnete Nehammer. "Und die Dynamik eines Wahlkampfes, die Möglichkeit, sich mit den Themen auseinanderzusetzen, die beginnt ja jetzt erst richtig für die Menschen. Daher halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass es uns gelingen kann, dass die Menschen uns den Auftrag geben und wir dadurch als Erste durchs Ziel gehen."

Gefragt, ob es aus seiner Sicht demokratiepolitisch legitim wäre, auch als Zweiter den Kanzler-Anspruch zu stellen, erklärte der ÖVP-Chef, "es hat in Österreich schon alles gegeben", denn es komme ja immer darauf an, wie man eine parlamentarische Mehrheit zustande bringe. Mit welcher Partei er am liebsten koalieren würde, verriet Nehammer nicht. Entscheidend sei, "wo gibt es konstruktive Kräfte innerhalb der politischen Parteien und wo die destruktiven", meinte er. "Mit destruktiven Kräften kann man keine Regierung und vor allem keine stabile Parlamentsmehrheit bilden." Links und Rechts "radikalisiert" sich "immer mehr" weg von der Mitte, befand der Kanzler. "Mein Angebot ist, die Politik der Vernunft, der Stabilität, der Mitte zu leben" und nach der Wahl diejenigen einzuladen, mitzuarbeiten, die daran interessiert seien. "Es gibt Kräfte, die nur vom Problem leben, aber es nicht lösen wollen, mit denen wird es dann schwer sein, eine konstruktive Zusammenarbeit zu finden."

Nehammer will keine Regierung mit Herbert Kickl

Nehammer will zwar keine Regierung mit FPÖ-Chef Herbert Kickl, die FPÖ an sich schließt er aber weiterhin nicht als Koalitionspartner aus. Er kenne bei den Blauen "viele vernünftige Kräfte", mit denen er auch "guten Gesprächskontakt" pflege. Diese hätten derzeit wenig Möglichkeiten, "ihre Vorstellung der Politik zu leben", weil Kickl und sein Umfeld "sehr dominant auftreten - aber das heißt ja nicht, dass es auch nach der Wahl so bleiben muss".

Als "Fake-Papier" disqualifizierte Nehammer jenen angeblichen "Geheimplan" einer ausgemachten ÖVP-SPÖ-NEOS-Koalition, der vom Blauen Peter Westenthaler verbreitet wird. "Man sieht jetzt, dass das eintritt, was wir befürchtet haben, wenn der Wahlkampf einmal beginnt: Es beginnt jetzt offensichtlich auch die gezielte Desinformation der Öffentlichkeit." Es werde versucht, "mit so einer gezielten Falschinformation Unruhe hineinzubringen in die politische Diskussion", und auch die eigene Wahlkampferzählung zu befeuern. "Falschinformation in einer Demokratie muss man sehr ernst nehmen", es sei ein "gemeinsames Zusammenwirken der vernünftigen Kräfte" in Politik und Medien notwendig, um dem entgegenzuwirken.

Zusammenarbeit mit SPÖ und NEOS ist für Nehammer eine Option

Grundsätzlich ist eine Zusammenarbeit mit SPÖ und NEOS für Nehammer aber eine Option. Einige Landeshauptleute haben sich auch bereits für eine Koalition zwischen ÖVP und SPÖ ausgesprochen. Es gebe Bundesländer, da regierten ÖVP und SPÖ zusammen, und genauso viele, wo es eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ gebe, "also daraus lässt sich gar nichts ableiten", ließ er sich nicht in die Karten schauen. Auch, was eine künftige Zusammenarbeit mit den Grünen betrifft, sei sein Maßstab, ob Konstruktivität herrsche oder "die destruktiven Kräfte in den jeweiligen Verhandlungsteams so stark" seien, dass es keinen Sinn habe.

Die aktuelle Regierung arbeite nach wie vor, versicherte der Kanzler und erinnerte etwa an die Einigung zur Pensionserhöhung diese Woche. Zuletzt hat die Koalition sich auf einen neuen EU-Kommissar geeinigt, nämlich Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP). Warum er Brunner und nicht die ebenfalls an dem Job interessierte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) ausgewählt habe, begründete der Kanzler so: "Es ist nun mal Fakt, dass Magnus Brunner aus seiner bisherigen Tätigkeit das breiteste Angebot für diese spezielle Position und im Sinne der Agenda der EU darstellt. Vor allem, wenn es darum geht, dass Europa wieder wettbewerbsfähiger wird." Finanzministern komme in der EU zudem "immer eine sehr wichtige Rolle zu, daher sind sie in der Kommission gern gesehen". Welches konkrete Ressort er sich für Brunner wünscht, ließ Nehammer offen, betonte aber einmal mehr, dass die Kommission "dringenden Aufholbedarf in der Stärkung Europas als Wirtschaftsstandort" habe.

"Schwierig" seien die türkis-grünen Verhandlungen im Justizbereich zu einem Generalstaatsanwalt: "Der Koalitionspartner war da bisher nicht bereit, sich weiter in unsere Richtung zu bewegen", bedauerte Nehammer. Zur aktuellen Sicherheitsdebatte verwies Nehammer auf Investitionen bei der Polizei, etwa die Ausrüstung von Streifenbeamten mit Tasern in Wien. Zudem liefen intensive Bemühungen zu Rückführungen von Straftätern auch in Gegenden wie Syrien oder Afghanistan.