Keine rechtliche Dringlichkeit, das ministerielle Weisungsrecht abzuschaffen, sieht der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Christoph Grabenwarter. Der ranghöchste Verfassungshüter erklärte gegenüber der Kleinen Zeitung, dass es sich hier um eine „verfassungspolitische Diskussion“ handle. „Wenn man die Rechtslage ändern will, kann man das mit Zweidrittelmehrheit tun. Aber einen verfassungs- oder europarechtlichen Zwang dazu gibt es nicht.“
Damit widerspricht der Gerichtspräsident dem Befund der Pilnacek-Kommission. Deren Vorsitzender, der Anti-Korruptionsexperte Martin Kreutner, hatte das politische Weisungsrecht in öffentlichkeitswirksamen Fällen als unzeitgemäß und europäisches Exotikum klassifiziert. Österreich sei damit „nicht mehr beitrittsfähig“. Grabenwarter: „Das stimmt nicht. Wir haben mit Deutschland ein großes Mitgliedsland der EU, wo die Rechtslage durchaus mit jener in Österreich vergleichbar ist. Und in allen rechtsstaatlichen Indizes rangiert das Nachbarland weit vorne.“ Auch die heimische Justiz stehe international gut da.
Das Weisungsrecht bei Ermittlungen sei per se „noch nichts Schlechtes“, so Grabenwarter. „Wichtig ist nur, dass Weisungen gesetzmäßig sind und dass man sie transparent macht. Ein Minister muss dafür gegenüber der Öffentlichkeit und dem Parlament geradestehen.“ Deshalb fordere die Verfassung, dass eine Weisung im Konfliktfall schriftlich zu erteilen sei. In der Praxis kämen Weisungen selten vor. Dass sie im Einzelfall sinnvoll sein könnten, habe unlängst eine Weisung von Justizministerin Alma Zadić offenbart. Sie betraf einen Kärntner Investigativjournalisten.
Staatsanwaltschaftliche Verfolgung sei im Gegensatz zur Tätigkeit der Gerichte nicht Justiz im engeren Sinn, sondern Teil der Vollziehung. Grabenwarter: „Die steht nach dem Bauplan der Verfassung unter der Aufsicht und Leitung eines Ministers. Und die Idee ist, dass dieser Minister für das, was in seinem Vollzugsbereich passiert, gegenüber dem Parlament verantwortlich ist und in gravierenden Fällen auch abberufen werden kann.“ Hier liege die Krux. „Wenn man jemanden als Generalstaatsanwalt weisungsfrei auf, sagen wir, zwölf Jahre bestellt, ist der oder die nicht ohne Weiteres abrufbar. Und das wäre ein Bruch.“ Das Modell einer Weisungsspitze, angesiedelt bei einem dem Parlament verantwortlichen Minister, sei etwas, was „tief verwurzelt in unserem Verständnis des Demokratieprinzips“ sei. Grabenwarter: „Ein Auslaufmodell würde ich es nicht nennen.“