Der Antikorruptionsexperte Martin Kreutner hat in der ZiB 2 mit Aussagen zum Justizsystem aufhorchen lassen. Weil hierzulande am Ende der Weisungskette bei Staatsanwaltschaften die Justizministerin stehe, sei Österreich „heute nicht mehr EU-aufnahmefähig“. Dem widerspricht der Europarechtler Walter Obwexer von der Uni Innsbruck. „Das ist keinesfalls so.“ Es gebe auch andere EU-Staaten, die keinen Bundes- oder Generalstaatsanwalt hätten.

Kreutner war nach dem Auftauchen einer geheim angefertigten Aufnahme von Ex-Sektionschef Christian Pilnacek als Leiter einer Untersuchungskommission zu politischen Interventionen in der Justiz eingesetzt worden. Die Prüfung bestätigte die Einflussnahme. Einerseits gebe es bei prominenten – sogenannten clamorosen – Fällen einen gesetzlich vorgeschriebenen anderen Verfahrensweg. Andererseits ortet die Kommission kulturelle Defizite, also eine zu große Nähe von Teilen der Politik und Justiz.

In der ZiB 2 vergab Kreutner diesem österreichischen Spezifikum die Schulnote 4 bis 5, „allein durch das Faktum, dass ein staatsanwaltschaftliches Verfahren an ein politisches Organ rapportieren und fragen muss, ob gewisse Ermittlungsschritte erlaubt sind“. Auch Verteidiger Georg Krakow, der früher als Staatsanwalt tätig war und Mitglied von Transparency International ist, sagt, dass es in Europa nur mehr zwei Länder mit einer politischen Weisungsspitze gibt: Deutschland und Österreich. „Es ist zum Auslaufmodell geworden.“

Martin Kreutner in ZiB 2: Verheerendes Zeugnis für das Justizsystem

Aus Sicht Obwexers könne Österreich aber auch heute der EU beitreten: „Mängel in Einzelfällen reichen nicht aus, um festzustellen, dass die Unabhängigkeit der Justiz nicht mehr gegeben ist.“ Richtig sei zwar, dass die Kriterien der EU seit Österreichs Beitritt strenger geworden sind, „aber sie sind nicht so streng, dass es einen Generalstaatsanwalt braucht“.

Dass bei Personen und Fällen des öffentlichen Interesses andere gesetzliche Berichtspflichten greifen, verstoße auch nicht zwingend gegen den Gleichheitssatz, so Obwexer. „Man kann schon die Frage stellen, ob eine Unterscheidung hier nicht doch sachlich gerechtfertigt ist.“ Es dürfe aber keine Besserstellung für Prominente geben.

Ex-OGH-Präsidentin Irmgard Griss
Ex-OGH-Präsidentin Irmgard Griss © APA / Tobias Steinmaurer

Auch Krakow sieht die zusätzlichen Berichtspflichten bei clamorosen Verfahren als berechtigt an. Es gehe um Qualitätssicherung, dafür müsse man eine Auswahl treffen. Das betreffe neue Rechtsfragen sowie eben besonders wichtige Verfahren. Öffentliches Interesse bedeutet nicht per se prominente Beschuldigte, es kann auch ein Verfahren nach einem groß berichteten Ereignis sein.

Die ehemalige OGH-Präsidentin Irmgard Griss sieht die Berichtspflichten kritisch. Müsse jeder Schritt an das Ministerium berichtet werden, sei die Möglichkeit der Einflussnahme gegeben. Durch immer neue Aufträge könnten Verfahren verzögert werden. „Das ist ein Einfallstor für Missbrauch“, sagt Griss. Die Kommission hatte über solche Fälle berichtet.

Griss sieht keine Notwendigkeit für einen gesetzlich anderen Verfahrensweg bei wichtigen Fällen. „Ich glaube nicht, dass man das braucht.“ Man müsse die Staatsanwälte gut aussuchen, ihnen dann aber vertrauen, dass sie ihre Arbeit ordentlich machen. Aber solle nicht doch die Fachaufsicht als Korrektiv stärker eingebunden werden? „Es gibt das Korrektiv durch das Gericht“, sagt Griss.