Die vom Justizministerium eingerichtete Untersuchungskommission hat in ihrem am Montag vorgestellten Bericht politischer Einflussnahme auf die Justiz bejaht. Anlass für deren Einsetzung war das Auftauchen einer geheim angefertigten Aufnahme, auf der Ex-Sektionschef Christian Pilnacek bei einer abendlichen Runde mit Bekannten im Wirtshaus gesagt hatte, die ÖVP habe erfolglos verlangt, Ermittlungen einzustellen und Hausdurchsuchungen abzudrehen.
Auf Basis der Aufnahme wurde geprüft, ob es unsachgemäße Interventionen, Auffälligkeiten in staatsanwaltlichen Verfahren sowie Informationsflüsse zu Medien gegeben habe. „Die Kommission muss einen positiven, weil zutreffenden Befund abgeben“, sagte Martin Kreutner, der Vorsitzende der international besetzten Kommission. Der Prüfzeitraum lag zwischen 2010 und 2023.
„Höchst problematische Zwei-Klassen-Justiz“
Die Kommission führte mehr als 60 Interviews, vor allem mit Angehörigen der Justiz, las sich durch viele Akten, bis Mai war zudem eine Whistleblower-Hotline aktiv. Nicht umfasst vom Prüfauftrag war, bei einzelnen Fällen Interventionen nachzuweisen. „Wir sind nicht die rechtliche Oberinstanz“, sagte Kreutner.
Der Anti-Korruptionsexperte stellte dem Justizsystem zwar grundsätzlich ein gutes Zeugnis aus, in einzelnen Fällen hätte sich aber gezeigt, dass es eine „höchst problematische Zwei-Klassen-Justiz“ gebe. Mehrfach wurde fehlende Distanz und Äquidistanz zwischen der Justiz und der politischen Sphäre sowie einiger Medien angesprochen. Das Gremium fand auch einen „zeitintensiven, ineffektiven Instanzenzug“ im staatsanwaltlichen Verfahren. „Wir sprechen vom 30-Augen-Prinzip“.
Als konkrete Beispiele für Grenzüberschreitungen nannte der ehemalige Präsident des bayrischen Verfassungsgerichtshofs, Peter Küspert, etwa ein Treffen Pilnaceks mit dem Justizsprecher einer Partei, gegen deren „hochrangige Regierungsmitglieder“ in einer Inseraten-Causa ermittelt worden war. Gespräche Pilnaceks habe es auch mit Beschuldigten in der Casinos-Affäre gegeben. Aber auch Justizbedienstete seien in Verfahren gegen sie selbst laufend informiert worden.
Ein „weiteres Phänomen“ sei die „Neigung in geschlossenen Organisationen, Mitglieder der eigenen Gruppe zu begünstigen“, so Küspert. Das betreffe etwa Amtsgeheimnisse, den Datenschutz und Befangenheitsregelungen. Weiters ortet der Bericht „Nahebeziehungen“, „Seilschaften“ sowie „politische Anbiederung“ sowie eine „pseudoamikale Struktur“. Vertrauliche Information - etwa zu Hausdurchsuchungen - werde an politische Repräsentanten etwa über Messenger-Dienste weitergegeben.
Kritik an Schwächung der WKStA
Die Kommission ortete zudem einen „Verantwortungsnebel“ im Umfeld staatsanwaltschaftlicher Verfahren. Vorwürfe in den eigenen Reihen würden ebenfalls nicht entsprechend aufgearbeitet. Schließlich wurde auch offen Kritik daran geübt, dass es „parteipolitische Bestrebungen“ zur Schwächung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegeben habe.
Neben der Einrichtung einer Generalstaatsanwaltschaft und der „Abschaffung der Zwei-Klassen-Justiz“ empfiehlt die Kommission unter anderem die „Außerstreitstellung sowie Stärkung der WKStA bei gleichzeitiger Herauslösung des ‚Bundes-Nadelöhrs‘ Oberstaatsanwaltschaft Wien als Instanz“ (diese ist derzeit Oberbehörde der WKStA, Anm.). Alle Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sollen zudem eingeladen werden, eine öffentliche Erklärung betreffend „(nötiger) Distanz zu Politik und Äquidistanz zu einzelnen politischen Parteien“ sowie den Medien abzugeben.
Absichtlich hinausgezögerte Verfahren
Eine weitere Forderung ist die Beschränkung des staatsanwaltlichen Instanzenzuges auf zwei Instanzen bei gleichzeitiger Stärkung der gerichtlichen Kontrolle und Reduktion des Berichtswesens. Dies spielt vor allem eine Rolle bei sogenannten „clamorosen Fällen“, die derzeit von zahlreichen Personen in Oberstaatsanwaltschaft und Justizministerium begutachtet werden müssten. So hatte die Präsidentin des Landesgerichts Feldkirch, Angelika Prechtl-Marte, von wohl absichtlich hinausgezögerten Verfahren berichtet. Im Zusammenhang mit einer politisch prominenten Causa seien Schlagwörter wie „eine Ehrenrunde drehen“ oder „Spiel auf Zeit“ aufgetaucht, aus Furcht um die Koalitionsräson.
„Die Kreutner-Kommission bestätigt, dass es Einflussnahmen auf juristische Prozesse gab“, reagierte Justizministerin Alma Zadic (Grüne) in einer Stellungnahme. „Zwar hat sich nach Ansicht der Kommission in meiner Amtszeit bereits viel verbessert, dennoch muss einiges getan werden, um die Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit der Justiz zu stärken“, lautete ihr Resümee.
Der vollständige Bericht wird in den kommenden Tagen veröffentlicht. Das Justizministerium, das ihn am Sonntag erhalten hatte, unterzieht die 230 Seiten starke Untersuchung zuvor noch einer medienrechtlichen Prüfung.