Der Sozialdienst also. Von den etwa 50 Vorschlägen, die sich im Papier „Soziale Stabilität“ der Initiative „MEHR GRIPS“ finden, ist es dieser, der es sogar in die Schlagzeilen geschafft hat. . „Was habt ihr euch dabei gedacht?!“, fragen uns auch wohlmeinende Mitmenschen. Wir sprechen uns für einen verpflichtenden Sozialdienst für alle Menschen unter 25 Jahren mit österreichischer Staatsbürgerschaft oder unbefristetem Aufenthaltstitel aus
Unser Grundgedanke ist simpel: Für eine sozial stabile Gesellschaft ist ihre zunehmende Fragmentierung kritisch . So wie sich im Internet Echokammern bilden, in denen man unter sich bleibt und sich Vorurteile verfestigen, entstehen auch im analogen Leben immer stärker voneinander abgegrenzte Gruppen. Menschen unterschiedlicher sozialer und ethnischer Herkunft und Lebensrealität treffen immer seltener aufeinander. Es wird einem leicht gemacht, unter sich zu bleiben. Das tut dem Verständnis füreinander und dem Zusammenhalt nicht gut. Wir brauchen mehr Begegnungs- und Austauschräume.
Einige solcher Institutionen gibt es noch – etwa die Freiwillige Feuerwehr oder das Bundesheer. Hier kann es passieren, dass der behütete Sohn aus einem katholischen Akademikerhaushalt mit dem muslimischen Schlossergesellen aus prekären sozialen Verhältnissen ein Problem lösen muss. Und wenn das gut geht, dann haben die beiden mehr über Werte, Toleranz und Zusammenhalt gelernt, als in Kursen vermittelt werden kann.
Studien belegen die integrative Funktion solcher Begegnungszonen. Menschen, die einander mit Vorurteilen, ja Ressentiments gegenüberstehen, können diese am ehesten durch persönlichen Kontakt abbauen. Wenn das Gegenüber ein Gesicht, eine Geschichte erhält, ist er plötzlich nicht mehr so fremd, wie er anfangs erschien. Wird dann noch gemeinsam eine Aufgabe bewältigt, ein Problem gelöst, erfährt man unmittelbar, wie Kooperation und Kompromiss in der Praxis gelingen. Und welchen Mehrwert sie bringen.
Für junge Menschen bietet der Sozialdienst die Möglichkeit, nicht direkt in Beruf oder Studium einsteigen zu müssen, sondern sich Zeit für die Gemeinschaft zu nehmen. Neue Realitäten kennenzulernen, andere Perspektiven zu verstehen. Seine eigenen Grenzen kennenlernen, an sich wachsen, resilienter werden. Und soziale Berufe als Option kennenlernen. Dass es dafür in den kommenden Jahrzehnten steigenden Bedarf geben wird, ist evident.
Österreich hat ein gut ausgebautes Sozialsystem, das viele unsere Forderungen noch verbessern wollen. Aber auch die andere Seite ist wichtig: Verantwortung füreinander und für das Gemeinwohl zu übernehmen. Ein Staat, der das von Beginn an als Wert klarstellt und hochhält, scheint uns eine gute Sache zu sein.
Mit Kindern lernen und sie betreuen, Ältere pflegen, mit Menschen mit Behinderungen arbeiten. Sorgearbeiten, die unverzichtbar für unsere Gesellschaft sind. Sie schaffen Zusammenhalt, lehren Verantwortung und ermöglichen uns gut aufzuwachsen und in Würde zu altern. Sie sind ein wesentlicher Teil unserer Wirtschaftsleistung und bewerkstelligen uns Erwerbsarbeit.
Gleichzeitig sind sie abgewertet. Wie oft wird über Mütter abfällig gesagt sie „arbeiten nicht“? Wie lange waren Elementarpädagoginnen „Tanten“? Oder Pflegerinnen „Krankenschwestern“?
Das kommt nicht von ungefähr, denn Sorgearbeiten wurzeln im Privaten: Sie werden noch immer als weibliche Tätigkeiten angesehen. Als Ausdruck von Zuneigung und Liebe. Als Tätigkeiten, die einfach in der weiblichen Natur liegen, statt erlernt zu sein. In den Wirtschaftswissenschaften nennt man diese Arbeiten unproduktiv. Was in der Familie „umsonst“ geleistet wird, hat scheinbar auch im Job keinen Wert. Zwar wird in diesen Berufen gesellschaftlich wertvolle Arbeit geleistet, die Bezahlung ist hingegen oft unterirdisch, die Belastung überdurchschnittlich.
Wir alle waren und sind mehrfach im Leben von Sorgearbeiten abhängig. Rein aus egoistischen Gründen muss es uns ein Anliegen sein, dass jene, die diese Arbeiten übernehmen, bestens ausgebildet, sowie hoch bezahlt sind und top Arbeitsbedingungen haben. Sorgearbeiten blieben lange politisch und gesellschaftlich unbeachtet und gering geschätzt. Nun fehlt uns Personal an allen Ecken und Enden. Dieses Resultat politischer Entscheidungen sollte nicht auf dem Rücken junger Menschen ausgetragen werden. Dass allein bis 2030 zirka 51.000 Pflege- und Betreuungspersonen aufgrund von Pensionierungen nach- oder neubesetzt werden müssen, ist eine politische Aufgabe. Keine, bei der junge Menschen nun in die Bresche für die Politik springen müssen. Verpflichtende Sozialdienste schreiben die Minderwertschätzung von Sorgearbeiten fort.
Außerdem ist es unlogisch solch voraussetzungsvolle Arbeiten, so gering zu bewerten. Denn diese Berufe erfordern viel: einen gekonnten Umgang mit Menschen; medizinisches, psychologisches und pädagogisches Wissen; Fähigkeiten wie Empathie, Geduld und Nervenstärke, und obendrauf sind sie meist körperlich und psychisch anstrengend.
Statt für verpflichtende Sozialdienste sollten wir also gegen diese Mängel in der öffentlichen Daseinsvorsorge kämpfen. Denn sie führen zu Überforderung und Zeitmangel. So wird der Kindergarten zur Aufbewahrungsstätte und das Altersheim zum Abfertigungsband. Wir müssen Sorgearbeiten aufwerten, besser bezahlen und Rahmenbedingungen schaffen, damit Beschäftigte in diesen Branchen gut und viele Jahre arbeiten können und nicht scharrenweise aus dem Job flüchten.