Die Bundesländer haben sich seit Dezember 2020 mehr als 102.000 Mal geweigert, Menschen aus der Grundversorgung des Bundes in die Landesgrundversorgung zu übernehmen. Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage der Neos an Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hervor, die der Kleinen Zeitung vorliegt. Konkret sind es 102.201 Fälle (Stand im Mai).

Länder ignorierten Verpflichtung

Nachdem ein Asylverfahren startet, kommen Asylwerber in die Bundesgrundversorgung. Binnen 14 Tagen wird dann festgestellt, ob Österreich oder ein anderer Staat nach der Dublin-III-Verordnung für das Verfahren zuständig ist. Ist Österreich zuständig, sollen die Asylwerber dann in die Grundversorgung eines Bundeslands übergehen. Zunächst in jene Länder, die am wenigsten Menschen versorgen. Das ist seit Dezember 2020 gesetzlich vorgeschrieben. In der Realität können die Länder jedoch die Aufnahme von Asylwerbern in ihre Landesversorgung trotz Verpflichtung ablehnen. Sanktionen gibt es dafür keine.

Umso voller sind deswegen die Bundesbetreuungseinrichtungen. Im Jahr 2022 führte das dazu, dass die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) Zelte im Freien aufstellen musste. In dem Jahr wurden 112.272 Asylanträge in Österreich gestellt. Die Länder kamen ihren Verpflichtungen nicht nach und die Bundesunterkünfte gingen über.

Stephanie Krisper | Migrationssprecherin der Neos
Stephanie Krisper
| Migrationssprecherin der Neos © Expa / Max Slovencik

Wien ist das einzige Bundesland, das seine Quote in der Grundversorgung derzeit erfüllt, nämlich zu 197 Prozent. „Wien wird von den anderen Bundesländern im Stich gelassen. Die Regierung schaut zu und zeigt dann völlig unredlich mit dem Finger auf Wien. Die ÖVP-Innenminister haben unterlassen, für eine gerechte Verteilung von Asylwerberinnen und Asylwerbern bereits während des Verfahrens zu sorgen“, kritisiert Neos-Migrationssprecherin Stephanie Krisper. Sie fordert die Schaffung von Sanktionsmöglichkeiten für Bundesländer, die ihren Unterbringungsverpflichtungen nicht nachkommen.

Das Schlusslicht bei der Grundversorgung ist Kärnten. Das liegt allerdings daran, dass Kriegsvertriebene aus der Ukraine dazu gerechnet werden. Sie bekommen ebenfalls Bundesgrundversorgung, können sich aber anders als Asylwerber in Österreich aufhalten, wo sie möchten. Sie gehen hauptsächlich nach Wien. Wenn Ukraine-Vertriebene nicht mit einberechnet werden, dann erfüllt Kärnten die Quote fast. Auch Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg kommen ohne die Ukrainer auf die vorgeschriebene Quote.

Weniger Übernahmen vor Wahlen

Politiker nutzen den sanktionsfreien Ablehnungs-Mechanismus immer wieder für ihre Zwecke. Der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter-Doskozil zum Beispiel will dieses Jahr nur 330 Personen in die Landesgrundversorgung aufnehmen. Laut dem Asylrechtsexperten Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Austria wird mit dem Thema gern Wahlkampf gemacht: „Gerade vor Landtagswahlen kann man beobachten, dass weniger Asylwerber in die jeweilige Landesversorgung aufgenommen werden“, sagt Gahleitner-Gertz zur Kleinen Zeitung.

Zudem kritisiert der Experte, dass von der Regierung Integration eingefordert wird, aber während der Asylverfahren keine Integrationsmaßnahmen stattfinden. „Wenn Asylwerber während ihres Verfahrens in den Bundesländern mithilfe von ehrenamtlichen Tätigkeiten oder Ausbildungsprogrammen stärker sozial verfestigt würden, dann müssten wir nicht über eine Residenzpflicht für Asylberechtigte diskutieren“, sagt Gahleitner-Gertz. Allerdings gebe es seit Jahren eine „Abschottungstendenz“. „Die Integration von Asylwerbern ist politisch nicht gewollt. Das ist politisch legitim. Aber man kann nicht nachher so tun, als hätte man sich dafür eingesetzt“, kritisiert der Jurist.