Im „ZiB2“-Interview mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Donnerstagabend kam die Rede auch auf den Zustand der heimischen Staatsfinanzen. Während die meisten Experten vor den Folgen steigender Staatsschulden und einem aus dem Ruder laufenden Budgetdefizit warnen sowie einen konsequenten Spar- und Konsolidierungskurs einfordern, sieht der Regierungschef Österreich im EU-Vergleich solide aufgestellt.
Richtig ist, dass die EU-Kommission kürzlich ein Strafverfahren gegen sieben EU-Staaten wegen übermäßiger Staatsschulden und zu hoher Defizite eingeleitet hat: Betroffen davon sind Frankreich, Italien, Belgien, Ungarn, Malta, Polen und die Slowakei; gegen einen weiteren EU-Staat, Rumänien, läuft bereits ein Verfahren. Österreich ist nicht dabei.
So gesehen befindet sich Österreich mit seiner Budgetpolitik tatsächlich im Mittelfeld der EU-27, was man durchaus, wie es der Kanzler macht, als solide bezeichnen kann.
Das sagen die Daten und die Wirtschaftsexperten
Dem gegenüber steht die Einschätzung der meisten Wirtschaftsexperten, die in Bezug auf die Nachhaltigkeit der Budgetentwicklung seit Monaten Alarm schlagen. An deren Spitze steht mit Christoph Badelt der Vorsitzende des Fiskalrats, der für heuer und 2025 ein Budgetdefizit von 3,4 respektive 3,2 Prozent des BIP prognostiziert. Damit würde die Maastricht-Grenze von 3 Prozent deutlich gerissen.
Das Wifo rechnet mit 3,2 beziehungsweise 3,1 Prozent Defizit, das IHS mit jeweils 3,0 Prozent. Zudem weisen auch die Staatsschulden steigende Tendenz auf, die nur noch knapp unterhalb der 80-Prozent-Marke liegen. Die EU-Grenze liegt hier bei 60 Prozent des BIP. In absoluten Zahlen haben die Schulden der Republik laut Statistik Austria mit 383,2 Milliarden Euro (plus 12,1 Milliarden) im ersten Quartal 2024 einen neuen Höchststand erreicht.
Auch die EU-Kommission hat auf Grundlage des jüngsten Budgets einen Warnbrief an das Finanzministerium geschickt, in dem sie Maßnahmen zum Schuldenabbau einmahnt.
Entsprechend wahrscheinlich ist mit einem Sparpaket nach den Nationalratswahlen im Herbst zu rechnen: „Der Sanierungsbedarf ist auf jeden Fall groß und wird massive Anstrengungen der nächsten Regierung verlangen“, sagt dazu Margit Schratzenstaller, Budgetexpertin des Wifo. Laut SPÖ beträgt dieser zwischen 10 und 12 Milliarden Euro, Fiskalrat-Chef Badelt spricht von zumindest 2,5 Milliarden jährlich bis 2028, dem schließt sich auch der Budgetdienst des Parlaments an. Das Finanzministerium will diese Zahlen nicht kommentieren.
Die Gründe für die Misere sind folgende: Die Hilfen während der Pandemie und Teuerung waren hoch und wenig treffsicher. Die Abschaffung der kalten Progression samt Valorisierung etlicher Sozialleistungen, die Steuerreform 2022–24 sowie die jüngsten Hilfspakete für Wohnbau und Landwirtschaft haben das Problem weiter verschärft. Hinzu kommen seit vielen Jahren unterlassene Strukturreformen bei Bildung und Gesundheit, Pensionen und Förderungen.