Er wünsche sich deutlich mehr Bürgerbeteiligung, erklärte Bierpartei-Chef Dominik Wlazny kürzlich in die Kameras. Dazu solle es eigene „Menschenräte“ geben, die die Bevölkerung repräsentativ vertreten und unter Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten an der Lösung gesellschaftlicher Probleme arbeiten sollen. Von „Bürger:innenräten“ sprach wenige Tage zuvor auch SPÖ-Chef Andreas Babler. Diese sollen sich aktiv in den Entstehungsprozess von Gesetzen einbringen können. Und auch die Experten-Initiative „Mehr Grips“ schlägt vor, die Digitalisierung für eine Steigerung der Bürgerbeteiligung zu nutzen.
Pünktlich zur Nationalratswahl entdeckt die Politik ihre Liebe zur Einbindung der Wahlberechtigten. Oftmals ist ein Signalisieren von Mitbestimmungsmöglichkeit abseits angeblicher Eliten, die in etablierten Parteien an den Schalthebeln vermutet werden, der Grund für das offene Ohr für die Bürger. „Ich halte das für nicht unproblematisch, denn Selektionsprobleme sind hier immer vorprogrammiert“, erklärt der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik. Man könne gar nicht die gesamte Gesellschaft in solchen Räten abbilden, da beispielsweise in einem Klimarat nur Menschen mitmachen, die sich für das Thema interessieren. Die Grünen hatten 2019 in ihrem Wahlprogramm „mehr unmittelbares Mitspracherecht für Bürgerinnen und Bürger“ gefordert, „um das Vertrauen in die Politik und die staatlichen Institutionen zurückzugewinnen“. In der Regierung setzte man den Klimarat ein.
„Bürgerräte kann man weder belohnen noch bestrafen“
„Ein weiterer Nachteil abseits des Umstandes, dass im Parlament ohnehin repräsentativ-demokratisch gewählte Personen sitzen, ist, dass man Bürgerräte bei Wahlen, im Gegensatz zu Parteien, weder belohnen noch bestrafen kann“, sagt Ennser-Jedenastik. „Zudem schafft die Politik so eine Parallelkonstruktion zum parlamentarischen Prozess, anstatt diesen in den Parteien so zu gestalten, dass sich die Bürger besser vertreten fühlen.“ Denn angesichts der ohnehin recht bunten Parteilandschaft sei die Chance groß, etwas für die eigenen politischen Interessen zu finden, zeigt sich der Politologe überzeugt.
Mehr direkte Demokratie hatte auch die FPÖ immer wieder gefordert. Im türkis-blauen Regierungsprogramm wurde 2017, nach einigem Widerstand innerhalb der ÖVP, die Möglichkeit festgehalten, dass ein Volksbegehren, das mindestens 900.000 Wahlberechtigte unterzeichnen, einer Volksabstimmung unterzogen wird. Im Anschluss an die „Ibiza-Affäre“ zerbrach die Regierung, bevor das Vorhaben umgesetzt wurde. Dafür hätte es aber wohl eine Volksabstimmung gebraucht, denn für eine „Art Volksgesetzgebung“ wäre eine grundlegende Änderung der Verfassung nötig, sagt Ennser-Jedenastik. Ein zeitlich begrenztes Ausprobieren dieses Modells „in kleinem Rahmen“ wie beispielsweise einem Bundesland hält der Experte aber durchaus für spannend.
In der SPÖ will von Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Bürgerräten nichts hören. Es gehe darum, die Menschen in politische Prozesse einzubinden, die sie betreffen, heißt es. Rechtlich bindend soll die Mitsprache offenbar nicht sein, sondern als „wesentliche Stellungnahme“ in Gesetzwerdungsprozessen gesehen werden. Eine solche ist jeder Privatperson aber freilich schon jetzt im Begutachtungsprozess möglich.