Den Eindruck einer angespannten Stimmung wollte man nicht aufkommen lassen. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) überreichte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) zu Beginn einer gemeinsamen Pressekonferenz zum Jahresforum der EU-Donauraumstrategie ein Geburtstagsgeschenk. „Es soll dich nicht erschrecken, es ist in Rot eingepackt“, meint Ludwig. Schallenberg und sein ÖVP-Ministerkollege Norbert Totschnig lachen. „Bei Geschenken bin ich farbenblind“, sagt Schallenberg später.
Dabei spielt die Wiener Landesregierung eine entscheidende Rolle im aktuell tobenden Koalitionsstreit rund um Umweltministerin Leonore Gewesslers (Grüne) Zustimmung zum umstrittenen EU-Renaturierungsgesetz. Ursprünglich hatten die neun Bundesländer eine einheitliche Stellungnahme gegen die EU-Verordnung verfasst, die Gewessler eine Zustimmung beim EU-Ministerrat in Luxemburg verunmöglicht hätte. Doch kurz vor der Abstimmung wichen Kärnten und Wien ab – die Wiener Landesregierung beschloss auch formal, das Renaturierungsgesetz nun zu unterstützen. Die Einheitlichkeit, die ihr die Hände gebunden hätte, sah Gewessler damit nicht mehr gegeben.
Ludwig: „Habe meine Meinung nicht ändern müssen“
„Ich habe meine Meinung nicht ändern müssen“, erklärt Ludwig, angesprochen auf den Kurswechsel Wiens. Den ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission habe er nicht unterstützt, doch bei der Version, über die Anfang der Woche abgestimmt wurde, „habe ich den Eindruck gewonnen, dass man dem zustimmen kann“, sagt der Wiener Bürgermeister.
Im neuen Entwurf wurde mehr Flexibilität für die Mitgliedstaaten festgeschrieben, auch strenge Vorgaben für Landwirte wurden gestrichen. In dem von ihr beschlossenen Papier führt die Wiener Landesregierung auch einen Mechanismus ins Treffen, durch den das Renaturierungsgesetz ausgesetzt werden kann, sollte die Lebensmittelsicherheit bedroht sein.
Was steht im Renaturierungsgesetz?
Allerdings hat Wien auch einige Punkte festgehalten, deren Sicherstellung durch den Bund bei der Umsetzung der Verordnung „wichtig“ wären: So müssten Bund und EU etwa „ausreichend finanzielle Mittel“ für die Wiederherstellungsmaßnahmen zur Verfügung stellen. Auch die Sicherstellung der Ernährungssicherheit wird noch einmal betont.
Gewessler hat „sehr schlechten Präzedenzfall“ geschaffen
Ob Gewessler dank der Kehrtwende Wiens das Recht hatte, der Verordnung gegen den Willen des Koalitionspartners zuzustimmen, will Ludwig nicht bewerten. Das sei „Sache der Bundesregierung.“ Wien habe jedenfalls bereits Renaturierungsprojekte umgesetzt und werde das auch weiterhin tun.
Die beiden ÖVP-Minister betonen dagegen erneut, dass Gewessler Rechtsbruch begangen habe. Die grüne Ministerin habe einen „sehr schlechten Präzedenzfall“ geschaffen, sagt Schallenberg, „es geht nicht um den Inhalt, sondern um die Vorgangsweise“. Es sei auch in früheren Koalitionen immer wieder schwierig gewesen, auf EU-Ministerebene zu einer gemeinsamen Position zu kommen, „doch wir haben es immer geschafft, uns zu koordinieren“.
Totschnig ärgert sich über Vergleiche
Landwirtschaftsminister Totschnig ärgert sich über den Vergleich, auch er habe gegen den Willen der Grünen auf EU-Ebene für die Senkung von Umweltstandards in der Landwirtschaft gestimmt. Das sei „ausschließlich mein Zuständigkeitsbereich“ gewesen, während das Renaturierungsgesetz in die Zuständigkeit beider Ministerien falle. Nach Ansicht des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt habe er zwar eine Stellungnahme von Gewessler einholen müssen, „aber es war kein Einvernehmen notwendig“. Beim Renaturierungsgesetz hätte es laut dem Verfassungsdienst die Zustimmung beider Ressorts gebraucht.
Die ÖVP hat ihre angedrohte Amtsmissbrauchsklage gegen Gewessler jedenfalls am heutigen Donnerstag eingebracht. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) verteidigt den Schritt bei einem Pressegespräch in Klagenfurt. Er wolle zwar die Koalition nicht aufkündigen, um „Chaos und eine Staatskrise“ abzuwenden, doch sei es „wichtig, das, was passiert ist, nicht zu ignorieren“.