Zurück zur Tagesordnung – einer geänderten. Am Tag nach der bisher größten Krise der türkis-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), kurz vor Ende der Periode, bereiteten Volkspartei und Grüne den anstehenden Ministerrat vor. Er tagt jede Woche am Mittwoch, tags davor werden stets die Themen koordiniert und letzte Verhandlungen geführt. Auch in dieser Woche. Der Ministerrat wird stattfinden, aber nicht physisch, sondern nur per Umlaufbeschluss.
Das ist ungewöhnlich und betrifft in der Regel nur zeitkritische Beschlüsse, die nicht auf den darauffolgenden Mittwoch warten können. Kanzler Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) ließen am Dienstag über ihre Büros mehr oder weniger gleichlautend verlauten, dass in der Vorwoche sehr viele Beschlüsse gefasst wurden und diesmal nur technische Berichte und Resolutionen auf der Tagesordnung stehen. Diese könnten im Umlauf erfolgen.
Koalitionsende hätte Vorhaben gefährdet
In der Tat war vor einer Woche eine längere Liste an (kleineren) Vorhaben abgearbeitet worden, um diese fristgerecht in die letzten Plenarsitzungen des Nationalrats vor der Sommerpause Anfang Juli einbringen zu können. Geplant war der Ministerrat aber ursprünglich regulär. Das zeigt (und soll vermutlich auch zeigen): Nach dem Solo Leonore Gewesslers beim Renaturierungsgesetz läuft die Koalition zwar weiter, aber es ist nicht mehr wie vorher. Die türkis-grüne Ära wird nun abgewickelt.
Doch hätte Nehammer die Koalition am Montag aufgekündigt, wären die bereits im Parlament liegenden Vorhaben zumindest gefährdet gewesen. So ist die Zustimmung der Grünen gesichert, etwa zu Änderungen des Katastrophenfonds zugunsten der freiwilligen Feuerwehren. Auch die Neuregelung bei Handysicherstellungen soll im Juli beschlossen werden. Planmäßig gibt es danach nur mehr eine Nationalratssitzung kurz vor der Wahl.
Postenbesetzungen für ÖVP interessant
Die Kosten eines vorzeitigen Koalitionsendes wären für die ÖVP zu hoch gewesen. Abgesehen von einigen offenen Vorhaben, bei denen auch die Volkspartei ein Interesse hat, sie ins Ziel zu bringen, müssen auch einige wichtige Posten besetzt werden, allen voran der nächste EU-Kommissar aus Österreich. Diese Stelle beansprucht die Kanzlerpartei für sich, benötigt aber die Zustimmung der Grünen, die wiederum den EuGH-Richterposten besetzen wollen.
Einige zentrale Stellen im Maschinenraum des Staates wurden jüngst neu ausgeschrieben, teilweise früher als notwendig, um möglichst wenig dem Zufall einer kommenden Regierung zu hinterlassen. Darunter fallen die personelle Neuaufstellung der Nationalbank inklusive des Gouverneurs (Wirtschaftsminister Martin Kocher hat sich beworben) sowie der Bankenaufsicht FMA.
Im Herbst dürften noch Milliarden bewegt werden
Für den Herbst sind auch noch zwei Beschlüsse vorgesehen, die Milliarden bewegen werden. Erstens wird ein Drittel der kalten Progression nicht automatisiert, sondern nach Entscheidung der Regierung verteilt. Zweitens wird vor der Wahl auch der Anpassungsfaktor der Pensionen festgelegt. Das ist eine Gelegenheit, die sich keine Partei nehmen lassen will.
Für andere zentrale Vorhaben läuft der Koalition die Zeit davon. Aus der von Kocher forcierten Reform der Bildungskarenz dürfte nichts mehr werden, zum automatischen Pensionssplitting, das die ÖVP forciert, laufen noch Verhandlungen. Keine Einigung dürfte es bei einer Reform der Justizweisungsspitze geben, die ÖVP habe „kein allzu großes Interesse“, diese umzusetzen, heißt es aus dem Justizressort. Das ebenfalls grün geführte Gesundheitsministerium bestätigte kürzlich, dass noch Gespräche zu einem neuen Epidemiegesetz laufen würden. Dass das kontroverse Vorhaben mitten im Wahlkampf beschlossen wird, ist allerdings unwahrscheinlich.
In Gewesslers Ressort ist einiges offen
Einiges ist auch noch in Gewesslers Energieressort offen – und ausgerechnet da könnte es eine Einigung geben. Der Beschluss zur vereinfachten Genehmigung von Photovoltaikanlagen ist nicht mehr zu erwarten, doch auf grüner Seite ist man beim Elektrizitätswirtschaftsgesetz durchaus zuversichtlich. Es soll neue Rahmenbedingungen für den Energiemarkt festlegen, was auch für die ÖVP wichtig sein dürfte. Dass die ÖVP Gewesslers Alleingang zum Anlass für Blockaden nehmen könnte, hält man im grünen Klub für unwahrscheinlich.
Die kommenden Wochen werden ein professionelles Abarbeiten sein. Wo vor Montag eine Einigung weit weg war, wird es bis Herbst keine mehr geben. Doch wo nur ein paar Meter auf einen Kompromiss fehlten, werden beide Parteien diese auch noch gehen – vielleicht aber nicht mehr Seite an Seite.