Zwischen 9.30 und 11 Uhr Vormittag sollen am Samstag in Wien die Köpfe rauchen. Denn dann tagt jenes SPÖ-Gremium, das die Migrationslinie der Partei auf neue Beine stellen soll. Vor Ort und zugeschaltet über Videostream werden zwischen 20 und 30 Genossinnen und Genossen (nicht medienöffentlich) darüber beraten, welche Antworten die Partei hier künftig geben will. Um die zeitlich ohnehin knapp angesetzte Debatte zu strukturieren, wird den Teilnehmenden bereits heute eine „Tischvorlage“ mit diversen Eckpunkten zugesandt, um alle auf den gleichen Stand zu bringen, heißt es aus der Bundespartei. Zu Mittag wird dann die Öffentlichkeit im Parlamentsklub informiert.

Dass die SPÖ das seit jeher eher unbeliebte Thema gerade jetzt aufgreift, erklärt sich mit Blick auf die kürzlich geschlagene EU-Wahl. Die FPÖ konnte mit ihrer Fokussierung auf die Themen Sicherheit und Migration bei den Wählern punkten und die ÖVP damit einen Totalabsturz verhindern. Die SPÖ kam auf Platz drei zu liegen und ließ damit umgehend interne Kritik am eigenen Kurs aufflammen. Um dieser zu begegnen, will man heute in Wien an eben diesem Kurs feilen.

Genauer gesagt am sogenannten Kaiser-Doskozil-Papier, in dem die beiden Landeshauptleute Peter Kaiser (Kärnten) und Hans Peter Doskozil (Burgenland) 2018 die rote Positionierung in Sachen Asyl und Migration auf acht Seiten niedergeschrieben haben. Das hat damals nicht allen in der Partei geschmeckt, trotz entsprechender Beschlusslage wurden die Inhalte vor allem von zahlreichen Genossen in der mächtigen Wiener Landespartei öffentlich konterkariert, hieß es immer wieder aus anderen Bundesländern.

„Es ist für uns unverständlich, dass – obwohl die SPÖ als einzige Partei seit nunmehr sechs Jahren ein eigenes Konzeptpapier mit klaren Positionen in diesen Themenbereichen hat – dies noch immer zu wenig bekannt ist“, erklärt Kärntens Landesgeschäftsführer Andreas Sucher. „Es stellt sich schon die Frage, warum immer gesagt wird: ‚Warum hat die SPÖ hier keine Position?’ Das stimmt nämlich nicht.“ Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner klagt: „Ich war und bin mit unserer Kommunikation bei diesem Thema seit Jahren nicht glücklich. Wir haben uns hier unter unserem Wert geschlagen und waren viel zu wenig offensiv.“ Ein Umschwenken auf einen linkeren Kurs will er nicht, beim Gipfel solle zudem „unbedingt auch die Expertise aus dem Burgenland Niederschlag in der Debatte finden“.

Damit ist auch jene von Doskozil gemeint, dem schärfsten Kritiker des roten Migrationskurses. Der Burgenländer, der eine Einladung zum Gipfel bereits ausgeschlagen hat, gilt intern dank regelmäßiger Querschüsse bei vielen zwar als wenig beliebt, inhaltlich unterstützen jedoch viele die Forderung nach einem härteren Auftreten. „Als steirische SPÖ treten wir klar für eine Verschärfung der derzeitigen Parteilinie ein, denn es kann nicht sein, dass Menschen, die unser gesellschaftliches System und Zusammenleben gefährden, nicht abgeschoben werden und länger in unserem Land bleiben“, lässt der steirische SPÖ-Chef und Landeshauptmannstellvertreter Anton Lang wissen. Tirols Parteichef Georg Dornauer kann sich gar eine Asylobergrenze bei null vorstellen.

Weil gerade die Wiener Genossen von solchen Positionen alles andere als begeistert sind, fürchtet man nun nicht nur hitzige Debatten am Gipfel, sondern auch das mögliche Scheitern einer Einigung. „Ich weiß nicht, warum wir uns dieses Fass gerade vor der Wahl aufmachen und öffentlich zelebrieren, dass wir da nicht zusammenkommen“, raunt ein Genosse. „Was haben wir hier zu gewinnen?“ Andere sehen die Debatte als eher alternativlos an. „Die Wähler laufen uns seit Jahren davon, weil wir in dieser Frage keine klare Position haben“, sagt der SPÖ-Abgeordnete Maximilian Köllner. „Die Zahlen lügen nicht. Das Thema beschäftigt die Menschen und wir müssen eine pragmatische und vernünftige Antwort darauf finden, ob uns das gefällt oder nicht. Passiert das nicht, wird man unsere Vorschläge für andere Themen erst gar nicht hören wollen.“ Köllner sieht zudem ein „Stadt-Land-Problem“: „Die schweigende Mehrheit“ im Klub und in den Ländern wolle nicht mehr akzeptieren, „dass manche in Wien jede Debatte sofort zudecken“. Am Samstag wird sich zeigen, wie angeregt diese ausfallen wird.