Leonore Gewessler (Grüne) hat mit ihrem Ja zum Renaturierungsgesetz die größte Krise der an Krisen nicht armen schwarz-grünen Koalition ausgelöst. Ihr Vorgehen passt durchaus zur Persönlichkeit der Klimaschutzministerin, die seit fünf Jahren ruhig, aber entschlossen ihren Weg geht und es so zum Feindbild von ÖVP, FPÖ und Autolobbyisten geschafft hat.
Analyse zur Regierungskrise
Klimaschutz als Überzeugungssache
Dabei ist Gewessler keine, die groß auf den Tisch haut. Die meist distanziert wirkende 46-Jährige bleibt stets kulant im Ton, dabei aber auch hart in der Sache. Klimaschutz ist für sie nicht geeignet für taktische Spielchen, sondern Überzeugungssache. Nicht umsonst war die studierte Politikwissenschafterin vor ihrem Einstieg in die Politik bei Global 2000 tätig.
In dieser Funktion war sie nur Insidern bekannt und so hob auch kaum jemand eine Augenbraue, als die gebürtige Grazerin von Bundessprecher Werner Kogler an prominenter Stelle zur Quereinsteigerin der Grünen ernannt wurde. Das sollte sich schnell ändern. Schon im Wahlkampf 2019 trat Gewessler souverän auf, als wäre sie schon seit Jahrzehnten am Wiener Parkett unterwegs. Als es die Grünen in die Regierung mit der ÖVP schafften, war es dann schon logisch, dass das Klimaschutz-Ressort bei ihr landen würde.
Die Grünen hatten ja die Zusammenarbeit mit der Volkspartei in erster Linie damit begründet, dass sie dem Klimaschutz nun aus der Regierungsverantwortung heraus zum Durchbruch verhelfen wollten. Damit war klar, dass Gewesslers Position eine spezielle sein werde: eine mit viel Geld ausgestattete, aber auch eine, die in ein besonders hartes Koalitionsbrett bohren wird müssen, angesichts der Interessensvertreter von Wirtschaft und Landwirtschaft in der ÖVP.
Elektrizität, Gas und Lobautunnel mit Konfliktpotential
Die Klimaschutzministerin erfüllte die Erwartungen. Unermüdlich ging sie ihren Weg, mal erfolgreicher, mal weniger. Ihr in der Öffentlichkeit meist beachteter Erfolg war das Klimaticket, mit dem man fast jedes öffentliche Verkehrsmittel benutzen kann - ein Projekt, an dem schon einige ihrer Vorgänger gescheitert waren. Auch die CO₂-Bepreisung kann Gewessler als Erfolg verbuchen.
In anderen Materien stieß sie an ihre Grenzen. So wird es das Klimaschutzgesetz spätestens nach dem heutigen Koalitionskrach mit Sicherheit nicht mehr geben. Auch beim Elektrizitätswirtschaftsgesetz beißt sie sich wohl an der ÖVP die Zähne aus. Luft nach oben ist noch bei der von ihr propagierten Reduktion der Abhängigkeit von russischem Gas.
Vor dem Streit um die Renaturierung hatte Gewessler ihren größten Konflikt bezüglich des Lobautunnels auszutragen. Gegen den Widerstand der ÖVP und umso mehr gegen den der Wiener und der niederösterreichischen Stadtregierung ließ sie das Projekt Lobautunnel aus dem Asfinag-Bauprogramm streichen.
Viele Freunde außerhalb der eigenen Klientel hat sich Gewessler also nicht gemacht. Doch könnte die mittlerweile zur stellvertretenden Bundessprecherin aufgerückte Ministerin umso mehr nach der Zustimmung zum Renaturierungsgesetz ein Atout im Wahlkampf für die Grünen werden. Viel zu verlieren hat sie persönlich ohnehin nicht. Dass Gewessler in der nächsten Regierung sitzt, ist aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich. Die ihr noch zur Verfügung stehende Amtszeit hat sie vor zu nützen, wie sie heute bewiesen hat.