Im „entscheidenden Moment davonzulaufen“, könne sie nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Sollte es am Montag unter den EU-Umweltministern zu einer Abstimmung über das umstrittene Renaturierungsgesetz kommen, wird Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler ihre Zustimmung geben. Das kündigte die Grüne am Sonntag in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz an – und verärgerte den Koalitionspartner massiv. „Demokratiepolitisch gefährlich“, sei der Alleingang Gewesslers, ärgerte sich Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP), von „vorsätzlichem Verfassungsbruch“ sprach Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP).

Dabei hatte Gewessler nie einen Hehl daraus gemacht, das Renaturierungsgesetz grundsätzlich zu befürworten. Konkret geht es bei dem von der EU-Kommission agnestoßenen Gesetzesvorhaben darum, zerstörte Naturgebiete vermehrt wiederherzustellen: Wälder sollen aufgeforstet, Moore wiedervernässt und Flüsse in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden. Das EU-Parlament hat dem Gesetz bereits zugestimmt, davor in Verhandlungen allerdings noch zahlreiche Änderungen erwirkt und „Bedenken ausgeräumt“, erklärte Gewessler am Sonntag. Der aktuelle Gesetzesentwurf erlaube viel Flexibilität und gebe den Mitgliedstaaten „großen Entscheidungsspielraum“.

Länder hatten Veto gegen Renaturierungsgesetz eingelegt

Bis zuletzt hätte Gewessler im Rat der EU, in dem die zuständigen Ministerinnen und Minister der einzelnen Staaten vertreten sind, dem Renaturierungsgesetz trotz allem nicht zustimmen dürfen. In einer einheitlichen Stellungnahme hatten die Bundesländer ein Veto eingelegt. Mittlerweile haben Kärnten und Wien ihren Widerstand allerdings aufgegeben, die Wiener Landesregierung auch formal ihre Unterstützung des Gesetzesvorhabens bekundet. Die Einheitlichkeit der Länder, die ihr die Hände gebunden hätte, sieht Gewessler damit nicht mehr gegeben. Auch habe sich die Stellungnahme der Länder auf einen veralteten Gesetzesentwurf bezogen, argumentierte sie. Insgesamt vier entsprechende Rechtsgutachten hat die Ministerin eingeholt.

Anderer Auffassung ist man im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes. Haben sich die Bundesländer erst auf eine einheitliche Stellungnahme geeinigt, könnten einseitige Erklärungen einzelner Länder „keinesfalls rechtliche Relevanz zukommen“, heißt es in einem Papier, das der Kleinen Zeitung vorliegt. Ebenfalls ist der Verfassungsdienst der Auffassung, dass auch Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig seine Zustimmung zum Renaturierungsgesetz geben müsste – immerhin würden die Inhalte des Renaturierungsgesetzes auch in seinen Zuständigkeitsbereich fallen. Auch diesbezüglich sieht Gewessler kein Hindernis: In der Vergangenheit hätten ÖVP-Ministerinnen und Minister im Rat der EU immer wieder gegen den Willen des Koalitionspartners abgestimmt.

Totschnig lehnt das Renaturierungsgesetz strikt ab: Er warnt vor Überregulierung, steigenden Lebensmittelpreisen durch mögliche Eingriffe in die Landwirtschaft sowie negativen Folgen für den Wirtschaftsstandort, wiederholte er seine Bedenken am Sonntag. Die Länder sehen wiederum einen Eingriff in ihre Kompetenz in Sachen Raumplanung.

Mehrheit gegen Gewessler wohl nur mit der FPÖ

Verfassungsministerin Edtstadler kündigte am Sonntag jedenfalls „rechtliche Konsequenzen“ an, sollte Gewessler tatsächlich abstimmen wie angekündigt. Welche Möglichkeiten man hier sehe, ließ das Ministerium vorerst jedoch offen. Auch wie die ÖVP politisch mit Gewesslers Alleingang umgehen wird, ist unklar. Theoretisch könnte sie diesen wohl als Anlass nehmen, die Koalition mit den Grünen aufzukündigen. Ob man sich aber gut drei Monate vor der Nationalratswahl auf ein freies Spiel der Kräfte im Parlament einlassen will, ist fraglich.

Weiters könnten Abgeordnete bei der Nationalratssitzung Anfang Juli über einen Misstrauensantrag oder gar eine Ministeranklage gegen Gewessler abstimmen lassen. Sollte die ÖVP einen solchen Antrag unterstützen, würde das wohl ebenso das Ende der Koalition bedeutetn. SPÖ und Neos haben am Sonntag zudem bereits ihre Unterstützung für Gewesslers Entscheidung bekundet. Für eine Mehrheit gegen Gewessler müsste die ÖVP also wohl mit den Freiheitlichen von Herbert Kickl gemeinsame Sache machen – dem erbittertsten Gegener im anlaufenden (Vor-)Wahlkampf.