Die Erhebung sorgte für Aufsehen. 35 Prozent aller Kinder in den öffentlichen Wiener Volksschulen sind Musliminnen und Muslime, hat die Bildungsdirektion errechnet. Die Zahl steht symptomatisch für die Herausforderung, mit denen sich viele Wiener Schulen konfrontiert sehen: Die Zahl ausländischer Schüler wächst, die Schwierigkeit, diese zu integrieren, ebenso.
Die geringen Deutschkenntnisse seien das größte Problem und ein Lernen durch die Gruppe unmöglich, „weil wir überwiegend arabischsprechende, muslimische Kinder in vielen Brennpunktschulen haben“, erzählt Susanne Wiesinger, kritische Buchautorin und Lehrerin in einer Volksschule in Wien Favoriten. Ethnische Konflikte seien bereits hier Alltag. „Volksschulkinder sind ein 1:1 Abbild ihrer Eltern“, sagt sie. „Deren Überzeugungen sind alles, was die Kinder kennen. Eine Form der Durchmischung oder Kontakt zu nicht-muslimischen Kindern gibt es schon lange nicht mehr.“ Können die Eltern nicht oder nur wenig Deutsch, sind aber aufgeschlossen, funktioniert Integration meist gut. „Es steht und fällt mit Eltern und Community.“ Durch Familiennachzug sei die schiere Zahl neuer Schüler ohne Deutsch jedoch kaum zu bewältigen, sagt Wiesinger. „In Favoriten, Floridsdorf und Simmering ist dieser Kipppunkt vor Jahren überschritten worden, jetzt passiert das auch in den anderen Bezirken.“ Der Lehrermangel verschärfe die Lage zusätzlich.
Wiener Vizebürgermeister will neues Schulfach gegen Integrationsprobleme
In innerstädtischen Schulen zeichnet sich ein anderes Bild. In ihrer Volksschule im 8. Bezirk spricht ein gutes Viertel der Kinder nicht ausreichend Deutsch, sagt Schulleiterin Christina Strobl, eine „super Mischung“, bei der Deutschlernen und Integration noch gut funktionieren würden. Religion sei kaum ein Thema unter den Kindern. In manchen Schulen gebe es allerdings kaum, in anderen überwiegend migrantische Kinder. „Ich würde mir wünschen, dass mehr Schulen das haben, was wir haben“, meint Strobl.
Der Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) will Integrationsproblemen und kulturellen Konflikten nun mit einem neuen Schulfach den Kampf ansagen. In „Leben in einer Demokratie“ sollen Kindern bereits ab der ersten Schulstufe soziale Kompetenzen, demokratische Werte, Menschenrechte und Bürgerpflichten sowie Wissen über verschiedene Religionen vermittelt werden.
Gewerkschaft fordert Unterstützung durch Sozialarbeiter
Strobl begrüßt die Debatte: In ihrer Schule sei der größte Teil der Kinder ohne Religionsbekenntnis, dem könne man etwa Rechnung tragen, indem Kinder als Alternative zum klassischen, nach Konfessionen getrennten Religionsunterricht gemeinsam über unterschiedliche Religionen lernen. „Es wäre ein Riesengewinn, wenn man mehr Verständnis für das Andere bekommt“, sagt Strobl. In der Lehrergewerkschaft ist man von der Idee wenig begeistert: Es sei ein „Reflex der Politik“, gesellschaftliche Probleme mit neuen Schulfächern bekämpfen zu wollen, kritisiert Vorsitzender Paul Kimberger. Er fordert stattdessen Unterstützung für die Schulen, etwa durch Sozialarbeiter und Pädagogen, auch aus den migrantischen Communitys, „die bis in die Familien hineingehen“.
Von der Politik erhofft sich Wiesinger keine Verbesserungen. „Wir machen unsere Arbeit so gut es geht und genießen die Erfolge im Kleinen. Wenn bei drei oder vier Kindern am Ende doch was weitergeht, gibt einem das die Energie, weiterzumachen.“