In der ÖVP-Zentrale ist es nach der ersten Trendprognose am Sonntagnachmittag mucksmäuschenstill, als der Partei nach der EU-Wahl ein beinahe zweistelliges Minus ausgewiesen wird. Es ist jedoch weniger die Enttäuschung, die die türkisen Funktionärinnen und Funktionäre verstummen lässt, als ein inneres Aufatmen. Angesichts katastrophaler Umfragen der letzten Monate, in denen der Volkspartei ein Absturz auf Platz drei bescheinigt wurde, hätte die Sache schlimmer ausgehen können. Dass Generalsekretär Christian Stocker wenig Stunden später von einer „gelungenen Aufholjagd“ und „übertroffenen Erwartungen“ spricht, sorgt bei einigen dennoch für Kopfschütteln. Bei Bundeskanzler Karl Nehammer klingt das deutlich anders: „Ich habe die Botschaft verstanden.“
Wer aus diesem Satz eine Kurskorrektur der Volkspartei herauslesen will, dürfte enttäuscht werden. Man müsse zwar den hohen Stimmenverlust und die große Unzufriedenheit benennen, „das kann man ja auch nur schwer schönreden, da wurde uns eine saftige Rechnung präsentiert“, fasst es eine türkise Funktionärin am Tag nach der Wahl zusammen. Trotzdem sieht man sich im eigenen Tun bestätigt. „Unser schon vor Monaten ausgerufenes Duell zwischen dem Kanzler und Herbert Kickl als Herausforderer ist am Wahltag Realität geworden“, die Fokussierung auf die Dämonisierung des FPÖ-Chefs habe sich ausgezahlt.
Wie Länder, Bezirke, Gemeinden gewählt haben
„Doch nicht alles hoffnungslos“
Eine Zuversicht, die freilich erst durch die um 23 Uhr veröffentlichten Zahlen und den geschmolzenen Abstand zur erstplatzierten FPÖ genährt wurde. Intern hofft man nun auf ein Ende des gefühlten Abwärtstrends, der mit dem Abgang von Parteiheilsbringer Sebastian Kurz eingesetzt hatte und der sich auch bei der Wahlkampfmobilisierung auf Länder- und Gemeindeebene bemerkbar gemacht hatte. „Endlich haben unsere Leute wieder das Gefühl, dass doch nicht alles hoffnungslos ist“, zeigt man sich in der Bundespartei überzeugt.
Dass sich Nehammer aktuell keine Sorgen um interne Revolten machen muss, hat er auch seinem heute umstrittenen Vorgänger zu verdanken. Abgesehen vom Umstand, dass die Partei nur schwer eine Alternative für den Chefsessel aus dem Hut zaubern könnte, profitiert Nehammer auch vom breiten Durchgriffsrecht, das sich Kurz damals gesichert hatte. „Und im Vergleich zu früher haben auch wir endlich gelernt, die Reihen geschlossen zu halten“, fasst es ein ÖVPler aus dem Umfeld des Kanzlers zusammen.
„Etwas mehr Demut würde uns guttun“
Neben einer weiter harten Abgrenzung zu Kickl will man bei der ÖVP im Wahlkampf für die Nationalratswahl nun auf Distanz zu den Grünen gehen. Einige Stimmen aus der Partei machen am Tag nach der Wahl auch das Gefühl der „Bevormundung“ durch die Regierung in Sachen Klimaschutz (Verbot für Gasheizungen in Neubauten) und damit den hier federführenden Koalitionspartner für die Schlappe verantwortlich.
Dass die ÖVP einen derart hohen Stimmenverlust bei einer Wahl zu einem Grund für Zuversicht umdeutet, schmeckt dennoch nicht allen. „Etwas mehr Demut würde uns schon guttun“, raunt ein Funktionär. „Vielleicht sogar ein bisschen Zeit auf der Oppositionsbank.“ In der Parteizentrale will man davon am Tag nach der Wahl nichts wissen: „Wir gehen davon aus, dass der Bundeskanzler im Herbst wieder Karl Nehammer heißt“, gibt sich Generalsekretär Stocker ein weiteres Mal optimistisch.