Fast die gesamte türkise Regierungsmannschaft – aber noch ohne Kanzler und Parteichef Karl Nehammer – stellte sich in der ÖVP-Zentrale eine halbe Stunde vor der ersten Trendprognose um 17 Uhr im Halbkreis hinter ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker auf. Geschlossenheit ist in diesen Tagen das Wichtigste für jede Partei. Und das alles nur für einen kurzen Einspieler ohne türkisen O-Ton für die ORF-Wahlberichterstattung.
Das zeigt: Jedem in der Partei ist klar, was auf dem Spiel steht. Der Absturz vom Rekordergebnis aus 2019 mit 34,6 Prozent war klar. Bei der EU-Wahl ging es für die ÖVP deshalb vor allem um die Ausgangslage für den Start in den Nationalratswahlkampf im Herbst.
Im Vergleich zu den rauschenden Wahlfesten in der kurzen Ära von Sebastian Kurz, war der Andrang zu Beginn überschaubar. Aber diese Vergangenheit ist auch in der ÖVP endgültig vorbei. Für die, die gekommen waren, gab es Eis, Getränke und ein kleines Buffet. Am Ende, als Nehammer schließlich mit Reinhold Lopatka, dem Spitzenkandidaten, auf der Bühne stand, waren es einige mehr – und die Stimmung fast schon ausgelassen.
„Ein Ergebnis, das nicht demobilisiert“
„Wenn das Ergebnis die Prognose bestätigt, dann haben wir 3,5 Prozentpunkte gewonnen, die Aufholjagd ist gestartet“, erklärte ein Nationalratsabgeordneter zur Kleinen Zeitung kurz nach 17 Uhr, als für die ÖVP 23,5 Prozent ausgewiesen werden. Und: „Das ist ein Ergebnis, das nicht demobilisiert.“
Ein Ergebnis um die 20 Prozent und Platz drei hinter FPÖ und SPÖ: Dieses Horroszenario begleitete die ÖVP durch den Wahlkampf. Um Punkt 17 Uhr, als die Trendprognose auf der Leinwand aufschien, herrschte dementsprechend in der Wiener ÖVP-Zentrale angespannte Ruhe. Und ein Gefühl der inneren Gelassenheit, als die ÖVP zu liegen kommt – knapp vor der SPÖ mit 23 Prozent und in Schlagweite von der FPÖ, die da noch mit 27 Prozent ausgewiesen wurde.
Das sollte auch die Choreografie des ÖVP-Wahlabends vermitteln. Das zeigte sich auch beim lauten Applaus beim Live-Einstieg der TV-Sender ein paar Minuten später, bevor Generalsekretär Stocker bei der ersten Einschätzung die Linie vorgab: „Alle – und Spitzenkandidat Reinhold Lopatka ganz besonders – sind gelaufen und haben gekämpft.“ Die Aufholjagd sei gelungen und das zweistellige Minus mit Demut zu akzeptieren. „Sehr erleichtert“ zeigte sich entsprechend Lopatka nach einem Wahlkampf im Gegenwind.
Nehammer: Die Wähler sind unzufrieden, ich habe die Botschaft verstanden
Da wusste er noch nicht, dass die ÖVP bei der schlussendlichen Hochrechnung für das Endergebnis um 23 Uhr mit 24,7 Prozent nur noch 0,8 Prozentpunkte hinter der ÖVP liegt. Umso bemerkenswerter, wie diszipliniert die ÖVP schon zuvor mit ihrer Niederlagenserie im Super-Wahljahr umgeht. An Kanzler und Parteichef Nehammer will niemand rütteln, weder im On noch im Off. Lediglich, dass er dem Wahlkampfabschluss am Donnerstag fernblieb und stattdessen lieber das ÖFB-Nationalteam für die Europameisterschaft verabschiedete, wurde ihm von manchen hinter der Hand angekreidet.
Der Kanzler selbst nahm dann vor Journalisten eine andere, demütigere Rolle ein: „Das Ergebnis ist nicht erfreulich“, erklärte Nehammer. „Es gibt große Unzufriedenheit und ich kann nur jedem versichern, dass ich die Botschaft verstanden habe.“ Die Menschen müssten das Gefühl haben, dass sie von der Spitzenpolitik auch gehört – bei Migration, beim Kampf gegen die Überregulierung oder den zu vielen Vorschriften, wie die Menschen ihr Leben zu leben hätten.
Spätestens an einem Sonntag Ende September wird sich zeigen, ob die ÖVP imstande ist, die Stimmung im Land zu drehen. Seit Sonntagabend ist sie zumindest überzeugt, wieder eine echte Chance zu haben. Das ist mehr, als ihr manche noch kurz vorher zugetraut haben.