Es entspringt einem ungeschriebenen Gesetz seit dem Jahr 1945, dass jene Partei, die bei Nationalratswahlen auf Platz eins landet, den Präsidenten des Parlaments stellt. Die Kür findet einen Monat nach dem Wahlsonntag statt. Im Zuge der konstituierenden Sitzung der neuen Volksvertretung werden der Präsident und die beiden Stellvertreter aus der Mitte der Versammlung gewählt. Bis 1983 stellte die stärkste Partei auch den Ersten und den Dritten Präsidenten, seit damals werden die Plätze im dreiköpfigen Präsidium nach dem Zieleinlauf am Wahlsonntag vergeben.
Von der Kür des dreiköpfigen Präsidiums unberührt bleibt die Koalitionsbildung, die meistens deutlich länger dauert. Das führte etwa dazu, dass im Jahr 2000 die SPÖ mit Heinz Fischer den Nationalratspräsidenten stellte und die ÖVP mit Wolfgang Schüssel den Kanzler. Nach dem fulminanten Sieg der ÖVP 2002 stieg Andreas Khol zum Präsidenten auf, Fischer wechselte auf den Soziussitz.
Seit Monaten ahnte Wolfgang Sobotka, dass er im Herbst das Feld an der Spitze der Volksvertretung räumen müsse. Glaubt man den Umfragen, dürfte der Kampf um Platz eins gelaufen sein. Im schlimmsten Fall drohte dem machtbewussten ÖVP-Spitzenpolitiker, der aus dem Innersten der niederösterreichischen Volkspartei kommt, die Degradierung zum einfachen Abgeordneten. Das dürfte auch zu seinem Rückzug beigetragen haben.
In manchen Parteizentralen rauchen angesichts der konstituierenden Sitzung des nächsten Parlaments am 24. Oktober bereits die Köpfe. Landet die FPÖ auf Platz eins, müsste ein freiheitlicher Spitzenpolitiker, sehr wahrscheinlich Norbert Hofer, zum ersten Präsidenten des Nationalrats gewählt werden. So sehen das die Usancen vor. Werden ÖVP, SPÖ, allenfalls Neos und Grüne, die einer Koalition mit der Kickl-FPÖ eine klare Absage erteilt haben, einen Freiheitlichen zum zweithöchsten Mann der Republik wählen?
Um ÖVP oder SPÖ zu reizen, könnte sich theoretisch auch Kickl als Kandidat aufstellen lassen, um dann später Hofer das Feld zu überlassen - die ÖVP hatte das mit Elisabeth Köstinger als Platzhalterin von Sobotka so vorexerziert. Für Nobert Hofer wäre die Kür zum zweithöchsten Mann der Republik eine Steilvorlage, um dann 2028 für die Hofburg zu kandidieren.
Da es sich um ein ungeschriebenes Gesetz handelt, könnte auch ein Nicht-FPÖ-Politiker zum Sobotka-Nachfolger gewählt werden, was allerdings den Strategen in der steirischen ÖVP missfallen dürfte. Einen Monat später wählt die Steiermark, die Freiheitlichen würden die Opferkarten ziehen.
Vom ungeschriebenen Gesetz ist man bisher nie abgerückt. 1996 war die ÖVP zwar bereit, einen Freiheitlichen ins Präsidium zu wählen, meldete aber einen Vorbehalt gegen den blauen Kandidaten Herbert Haupt an. Die FPÖ ersetzte ihn durch Wilhelm Brauneder. Trotz diverser Vorbehalte wurde 2008 der schlagende Burschenschaftler Martin Graf zum Dritten Präsidenten gekürt.