Scheidungen liegen im Trend und feste Bindungen werden immer rarer. Was die Statistik Austria für das Beziehungsverhalten der Österreicherinnen und Österreicher am Dienstag feststellte, gilt auch für die Spitzenpolitik. Erst am Montag trafen sich Reinhold Mitterlehner und Neos-Spitzenkandidat Helmut Brandstätter zufällig im Kaffeehaus, wobei der ehemalige ÖVP-Obmann einen Blick in seine politische Stimmungslage preisgab: „Ich bin schwer am Überlegen, ob Du, Helmut, nicht eine Stimme kriegst von mir.“

Gut möglich, dass sich Mitterlehner dabei einmal mehr auf einer Wellenlänge mit Christian Kern befindet: Auch der ehemalige SPÖ-Vorsitzende sucht die Nähe zu den Neos. Kürzlich war er Gast beim Podcast von Parteichefin Beate Meinl-Reisinger. Dabei machte schon Erhard Busek seinem Ruf als bunter Vogel alle Ehre, hielt der Ex-ÖVP-Chef doch mit seiner Sympathie für das pinke Projekt nicht hinter dem Berg.

Die Lust auf Macht und Rache

Eine lange Liste heimischer Spitzenpolitiker wollte es nicht bei einer Liebelei belassen. Und wie so oft im Beziehungsleben spielten verletzte Gefühle und unerfüllte Erwartungen die wichtigste Rolle. Mitunter ist es auch einfach nur die Lust auf Vergeltung für erlittenes Unrecht. Politik ist, sieht man einmal vom Streben nach Macht und Scheinwerferlicht ab, zumindest in dieser Hinsicht dem echten Leben recht ähnlich.

Zu den ersten Trendsettern zählte Franz Olah. Der mächtige Innenminister und ÖGB-Chef, der im KZ für seinen Widerstand gegen die Nazis büßte, galt in der noch jungen Republik als „gefährlichster Mann“. Ab 1964 geriet der Sozialdemokrat ins Visier seiner internen Kritiker, wurde ausgeschlossen und musste später sogar in Haft. Zu den Wahlen 1966 trat er mit einer eigenen Liste an, der Demokratischen Fortschrittlichen Partei (DFP), scheiterte zwar am Einzug, kostete die SPÖ aber so viele Stimmen, dass die ÖVP die Absolute eroberte.

Dreißig Jahre später war es schlicht Entfremdung, die Heide Schmidt dazu veranlasste, den Exodus aus der FPÖ anzutreten und das Liberale Forum zu gründen. Dabei hatte sie einen steilen Aufstieg in der FPÖ hinter sich: Vize-Parteichefin, Bundespräsidentschaftskandidatin und dritte Nationalratspräsidentin. Aber mit Jörg Haiders Ausländerpolitik wollte sie 1993 nicht mehr mit.

Ausgerechnet Jörg Haider war dann der nächste prominente Deserteur. 2005 wuchs der Widerstand in der FPÖ gegen Haiders als zu sanft empfundenen Kurs in der Koalition mit der ÖVP. Der Kärntner Landeshauptmann trat die Flucht nach vorne an und gründete das orange Bündnis Zukunft Österreich – und nahm die gesamte Regierungsmannschaft, fast alle Landesorganisationen und bis auf zwei alle Abgeordneten mit. Der neue an der FPÖ-Spitze, Heinz-Christian Strache, gründete nach seinem Sturz 2019 ebenfalls eine eigene Liste. Allerdings war ihm das politische Glück weit weniger hold.

Zufall oder nicht: Die Grünen entwickelten eine ähnliche aufwühlende Gefühlswelt. Wo viel Leidenschaft, da ist die Enttäuschung meist nicht weit. Die ehemalige Parteichefin Madeleine Petrovic, die kürzlich ihre Kandidatur mit einer eigenen Liste für die Nationalratswahl ankündigte, ist da kein Einzelfall. Peter Pilz und dann auch Johannes Voggenhuber trieben nicht nur ihre ehemaligen Parteiführungen an den Rand des Wahnsinns. Pilz schaffte es sogar, die Grünen 2017 vorübergehend aus dem Parlament zu werfen.

In Ländern und Gemeinden geht es nicht weniger wild zu

Wenn es schon die Bundespolitik so liederlich treibt, verwundert es kaum, dass in den Ländern und Gemeinden teils noch viel weniger ewige Treue eine politische Kategorie darstellt. In Kärnten ist der Spittaler Bürgermeister Gerhard Köfer das derzeit prominenteste Beispiel: Der ehemalige Sozialdemokrat wechselte 2012 zum Team Stronach, heute sitzt er für seine eigene Liste im Landtag. In der Steiermark schied mit Gerhard Hirschmann ein ÖVP-Landesrat im Unfrieden wegen der ESTAG-Affäre. Natürlich trat er bei den Wahlen 2005 gegen seine ehemalige Partei an.

In Innsbruck schickt sich Johannes Anzengruber gerade an, in große Fußstapfen zu treten – und damit ist nicht der Salzburger Vizebürgermeister Kay-Michael Dankl gemeint, der wie Tobias Schweiger einst bei den Jungen Grünen und nun für die KPÖ politisiert. Anzengruber musste erst von der ÖVP ausgeschlossen werden, um das Amt des Bürgermeisters zu erobern. 1994 schaffte dieses Kunststück bereits Herwig Van Staa, mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass der stets ÖVP-Mitglied blieb. Damals hatte die ÖVP noch mehr Geduld mit vielversprechenden, aber eigenwilligen Talenten. 2002 kürte ihn der Landtag zum Landeshauptmann. Ob Anzengruber das auch schaffen wird?

Ausgeschlossen ist es nicht. Die Strahlkraft der etablierten Parteien schwindet rapide, die Wähler flirten mit neuen Angeboten. Einer, dem hartnäckig Lust auf ein solches Abenteuer nachgesagt wird, ist der langjährige EU-Mandatar Othmar Karas, der sich im Streit von seiner ÖVP getrennt hat. Allerdings ist selbst eine bekannte Persönlichkeit an der Spitze noch keine Erfolgsgarantie.

Wer Politik gestalten will, braucht einen langen Atem – und ein Team, das für eine flächendeckende Organisation und ausreichende Finanzen sorgt. Letzteres ist nach wie vor die große Stärke der etablierten Parteien. Zu sicher sollten sich diese aber nicht fühlen. Ihre Wähler wie Spitzenpolitiker sind untreue Seelen.