Die unerwartete Einigung aller Bundesländer auf eine Kindergrundsicherung hat nicht lange gehalten. Der Beschluss der Soziallandesräte vom Dienstag, der den Bund zur Erarbeitung eines Konzepts auffordert, bleibt zwar aufrecht, doch die Interpretationen dazu gehen weit auseinander. ÖVP-Familienministerin Susanne Raab lehnte in der „Presse“ eine Kindergrundsicherung zudem kategorisch ab.
Die schwarz-blau regierten Länder Oberösterreich und Niederösterreich schwächten am Mittwoch gegenüber der Kleinen Zeitung die Einigung insofern ab, als sie auf die nationale Implementierung zur Europäischen Garantie für Kinder verwiesen. „Der Bundesminister ist aufgefordert, einen Status zur Umsetzung darzulegen“, sagte der zuständige oberösterreichische Landesrat, Wolfgang Hattmannsdorfer. Bei dieser EU-Initiative geht es nicht um eine monetäre Grundsicherung, sie zielt darauf ab, armutsbetroffenen Kindern Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung zu garantieren.
SPÖ legte bereits Modell vor
Die Diskussion über eine Kindergrundsicherung hat in Österreich seit dem hart errungenen Kompromiss der deutschen Ampel-Koalition Fahrt aufgenommen. Vor einigen Wochen hat die SPÖ ein Modell vorgelegt, dass ähnlich wie in Deutschland konstruiert ist: Bestehende Leistungen sollen zusammengeführt werden, ein Teil an alle Kinder gehen (wie die Familienbeihilfe), ein weiterer Teil ist einkommensabhängig vorgesehen. Die von der SPÖ genannten Beträge liegen über der auf der Zielgeraden herunterskalierten deutschen Lösung.
Schon bei der deutschen Debatte hatte es erhebliche Differenzen zwischen SPD, Grünen und FDP, vor allem aber mit der in Opposition befindlichen CDU gegeben, die bei ihrer Definition von Kindergrundsicherung weniger auf monetäre Leistungen als auf Zugangschancen zu Bildung und Betreuung abzielte. Darauf dürften auch die politischen Fronten in Österreich hinauslaufen. Familienministerin Raab sagte der „Presse“: „Wir haben ja eine Grundsicherung, die nennt sich Sozialhilfe.“
In der Sozialhilfe gibt es Kinderrichtsätze, über die zuletzt zwischen ÖVP und SPÖ aufgrund des Familiennachzugs syrischer Flüchtlinge gestritten wurde. In Wien ist dieser Zuschuss höher als in anderen Bundesländern. „Ich werde jedenfalls die Themen Familiennachzug nur bei Selbsterhaltungsfähigkeit und eine Wartefrist bei Sozialleistungen einbringen“, so Hattmannsdorfer.
Was Österreich und Deutschland eint, ist ein hochkomplexes Sozialsystem, in dem staatliche Hilfen nicht immer die Adressaten finden und dann wirkungslos bleiben. Auch dies war eine Erwägung bei der deutschen Grundsicherung. Der Armutsexperte Martin Schenk von der Diakonie nennt in dem Zusammenhang „ein paar Tausend Kinder“, die nicht sozialversichert seien. Deshalb hat die Armutskonferenz auch vorgeschlagen, die Versicherung an den Schulbesuch zu knüpfen, um solche Lücken zu verhindern.
Wie kann oder soll eine Kindergrundsicherung ausgestaltet sein? „Die reine Höhe ist nicht so einfach zu definieren“, sagt Schenk. Zielt man auf die realen Kosten für gesellschaftliche Teilhabe von Kindern ab, wären die Beträge noch deutlich höher als im SPÖ-Modell. Man müsse auch auf negative Anreize aufpassen, meint Schenk. „Deshalb sind Einschleifregelungen wichtig, statt harte Grenzen zu setzen“.
Klar ist, dass Kinderarmut teuer ist, weil geringere Bildungschancen, weniger Einkommen und schlechtere Gesundheit Folgen sind. Eine Studie der OECD im Auftrag des Sozialministeriums taxierte die volkswirtschaftlichen Kosten von Kinderarmut in Österreich mit 17,2 Milliarden Euro jährlich.