Die Grünen sind am Mittwoch geeint einer „Schmutzkübel-Kampagne“ ihre EU-Wahl-Spitzenkandidatin Lena Schilling betreffend entgegengetreten. Nach Bekanntwerden von Vorwürfen gegen die Listenerste versammelte Parteichef Werner Kogler das Spitzenteam der Partei, um Schilling Rückendeckung zu geben. Der Vizekanzler sprach von „anonymem Gemurkse“ und „Gefurze“.
Kommentar von Walter Hämmerle
Schilling selbst kommentierte die Vorwürfe inhaltlich nicht: „Ich kandidiere für ein politisches Amt, für eine Position, die das Leben von vielen Menschen beeinflussen werden. Ich möchte viele Dinge verändern, um unser Klima zu schützen. Das ist eine große Verantwortung, die ich da in die Hand genommen habe. Und jetzt unterstellt man mir viele Dinge, die meinen Charakter infrage stellen.“
Man könne sie jederzeit für ihren politischen Standpunkt und ihre Forderungen kritisieren. Davon habe sie in der Berichterstattung wenig gesehen. Nichts von den Vorwürfen hätte mit Europa oder den Wahlen zu tun. Sie kritisiere weder den Standard noch die Redakteurinnen und Redakteure. Sie kritisiere, dass mit persönlichen Dingen kampagnisiert werde. Man ziehe den Wahlkampf auf eine persönliche Ebene und man werde die Menschen nicht begeistern, wenn man mit Dreck werfe: „Ich hoffe, es ist akzeptabel, dass mein Privatleben noch mein Privatleben ist“, meinte Schilling. Sie wolle eigentlich über Inhalte sprechen, um die es bei der EU-Wahl gehe.
Sie werde sich von den Vorwürfen nicht entmutigen lassen. Für ein vielfältiges Europa wolle sie in den nächsten Tagen rennen, und viele Menschen würden sie dabei begleiten.
Grünen-Chef Werner Kogler stärkte der jungen Frau den Rücken: „Es geht darum, dass die Frauen dahin kommen, wo sie hingehören, die Grünen haben da viel geschafft und davon lassen wir uns nicht abbringen. Wenn so mit Frauen umgegangen wird, frage ich mich, wo das hinführen soll.“ Er frage sich, was für ein Signal das sein solle: „Steine übers Hörensagen übers Hörensagen in den Weg gelegt zu bekommen“, sei ein seltsames Ding. Die erfolgreiche Kandidatur sei manchen wohl ein Dorn im Auge: „Wir haben gewusst, dass der Wahlkampf dreckig wird. Wir lassen uns aber nicht von anonymem Gemurkse oder Gefurze aufhalten“, sagte Kogler.
Gerüchte wurden öffentlich
Seit einigen Wochen liegen etlichen Medien Unterlagen über eine Unterlassungserklärung Schillings in einer Privatangelegenheit vor. Veröffentlicht wurden diese Informationen nun vom „Standard“. Nur kurz nach dem Ende des offiziellen Starts der Grünen in den EU-Wahlkampf drohte mit der „Standard“-Recherche die ganz auf die ehemalige Klimaaktivistin zugeschnittene Kampagne in sich zusammenzubrechen. Dazu kamen diverse Gerüchte aus dem Privatleben der Spitzenkandidatin, die laut dem Blatt belegbar sein sollen. Insgesamt wurde dabei ein sehr ungünstiges Charakterbild Schillings gezeichnet.
Sehr betroffen über die „Kampagne“ des „Standard“ reagierte auch Umweltministerin Leonore Gewessler: „Lena Schilling ist eine große Bereicherung für die grüne Bewegung, den Wahlkampf und die politische Landschaft.“ Sie habe den allergrößten Respekt vor Lena Schilling, sie sei genau die richtige Spitzenkandidatin, für den Klimaschutz und gegen die Rechte, „und dafür werden wir Seite an Seite kämpfen.“ Sie sehe die Art der Vorwürfe als „hemmungslos“ an: „Mich macht das betroffen.“
In diesen Tenor stimmte auch Klubobfrau Sigrid Maurer ein. „Auch wir wurden in den letzten Wochen mit Gerüchten konfrontiert, JournalistInnen haben uns angerufen.“ Über das, was politisch relevant sei, habe man Auskunft gegeben. Die Sphären der politischen Relevanz und des Privaten, Höchstpersönlichen seien strikt auseinanderzuhalten. Und diese Ebenen seien hier vermengt worden. Sie spricht den Rücktritt von Clemens Stammler an, der im alkoholisierten Zustand handgreiflich geworden sei und einen Journalisten verletzt habe. Das sei der Grund für seinen Rücktritt gewesen. Wer ihn in das Lokal eingeladen habe, wer noch dort war, sei völlig irrelevant.
Stefan Kaineder sei grantig über die „Unterstellungen“, mit denen ihr Charakter in Frage gestellt werde, so der stellvertretende Bundessprecher: „Die ganz große Kunst in der Politik sei es, verletzlich zu sein, ansprechbar, im Zug, in den Wirtshäusern, offenzubleiben.“ WEil es darum gehe, dass den Menschen zugehört würde, damit man eine gute Politik für die Menschen machen könne. Das gebe er auch Lena Schilling mit: „Leg dir keinen dicken Panzer zu!“
Die Grünen nahmen heute um 8.30 Uhr zu den Vorwürfen gegen ihre EU-Spitzenkandidatin Stellung. Mit dabei sind neben Lena Schilling selbst Grünen-Chef Werner Kogler, die stellvertretenden Bundessprecher Leonore Gewessler und Stefan Kaineder sowie Klubobfrau Sigrid Maurer.
Lange Liste an Vorwürfen
Doch worum geht es? Die Liste der genannten Vorwürfe ist lang und diese reichen teils tief in Schillings Privatleben hinein. Mehrere Abgeordnete der Grünen sprechen von einer Katastrophe, so die Zeitung. Zitiert wird aus einem Akt, in dem sich die 23-Jährige vor Gericht verpflichtet, künftig eine Reihe von Äußerungen zu unterlassen – etwa dass eine ihrer einst besten Freundinnen vom Ehemann verprügelt werde und nach einem Übergriff eine Fehlgeburt erlitten habe. Hält sich Schilling nicht daran, muss sie 20.000 Euro zahlen.
Schilling habe diese Äußerungen „aus Sorge um eine Freundin in ihrem engsten persönlichen Umfeld getätigt“ und bedaure „die daraus entstandenen Kränkungen und war darum auch zu dem angesprochenen Vergleich bereit“, zitiert der „Standard“ eine Stellungnahme der Grünen. Die Kosten soll sie selbst übernommen haben. In der Partei würden manche von einer Schmutzkübelkampagne gegen eine junge erfolgreiche Frau sprechen, andere sehen die Spitze eines Eisbergs.
Schilling wird problematisches Verhältnis zur Wahrheit vorgeworfen
Die Autoren des Artikels, die Journalisten Katharina Mittelstaedt und Fabian Schmid, betonen, nach „wochenlangen Recherchen und Gesprächen mit rund fünfzig Personen“ zum Ergebnis gekommen zu sein, „dass Schilling viele Menschen verärgert oder verletzt und einige sogar in existenzbedrohende Schwierigkeiten gebracht hat“. Die Conclusio lautet: „Schilling habe ein problematisches Verhältnis zur Wahrheit, spiele Personen gegeneinander aus und hinterlasse verbrannte Erde.“
So habe Schilling einem Journalisten eines privaten Medienunternehmens, mit dem sie beruflich regelmäßig zu tun hatte, schwere Probleme bereitet, weil sie gegenüber Freundinnen und Bekannten plötzlich behauptet habe, von diesem Mann belästigt worden zu sein. Davon erfuhren in der Folge auch dessen Kollegen und Arbeitgeber.
Sind diese Informationen rein privat oder doch von öffentlichem Interesse? Auch hier zitiert der „Standard“ eine grüne Mandatarin: „Es geht hier nicht um eine moralische Bewertung von Lenas Verhalten.“ Es gehe um ihren Umgang mit Kolleginnen und Kollegen, Journalisten und Mitstreitern im politischen und beruflichen Kontext.
Grüne stehen hinter Schilling
Eine Stellungnahme von Schilling lag bei Redaktionsschluss nicht vor. Die Grünen stehen laut ZiB2 voll und ganz hinter Schilling: „Alle weiteren angesprochenen Themen fußen auf Gerüchten und Behauptungen oder behandeln Dinge, die das Privatleben von Lena Schilling und/oder anderer Personen betreffen.“ Terry Reintke, Vorsitzende der Europäischen Grünen, wollte sich im Gespräch mit Armin Wolf nicht zur Causa äußern, sie kenne die Details noch nicht: “Ich habe Lena Schilling als Kämpferin für Klima und demokratische Gesellschaft kennengelernt, ich kann das nicht kommentieren“, sagte Reintke.