Immerhin, Pragmatismus hat die ÖVP nicht verlernt. Also gratulierte Tirols Landeshauptmann und ÖVP-Chef Anton Mattle dem neuen Innsbrucker Bürgermeister zur „beeindrucken Wahl“. Und der Generalsekretär der Bundes-ÖVP ging sogar noch einen Schritt weiter, als er via Aussendung feststellte: „Die Innsbruckerinnen und Innsbrucker haben sich heute für eine bürgerliche Politik entschieden und der Fortsetzung des grünen Experiments eine Absage erteilt.“
Viel hat es nicht mehr gebraucht, und die Volkspartei hätte – irgendwie – den Wahlsieg ihres langjährigen Mitglieds und ehemaligen Vizebürgermeisters Johannes Anzengruber zu ihrem eigenen umgedeutet.
Doch warum ist Anzengruber gelungen, wozu die ÖVP und Kanzler Karl Nehammer im Bund derzeit nicht in der Lage zu sein scheinen?
Eine gute Erzählung
Offensichtlich ist: „Der ÖVP ist das Rezept abhandengekommen, mit ihren eigenen Wählern zu kommunizieren“, analysiert die Innsbrucker Politologin Lore Hayek. Ein Vergleich der Auftritte Anzengrubers mit jenen von Ex-Staatssekretär Florian Tursky, der als ÖVP-Spitzenkandidat ins Rennen ging.
Dabei waren die Chancen eines bürgerlichen Kandidaten in der Tiroler Landeshauptstadt von Anfang an intakt: „Zumindest unter der Bedingung, dass es gelingt, dieses bürgerliche Spektrum zu vereinen und zu mobilisieren. Noch-Bürgermeister Georg Willi ist mit Blick auf die linken Wählerinnen und Wähler genau daran gescheitert“, erläutert Marcelo Jenny, Professor für Politikwissenschaft in Innsbruck.
Wesentlich dafür war der Umgang mit der FPÖ. Während sich im Bund alle Parteien über ihre Position und Haltung zu den Freiheitlichen unter Herbert Kickl definieren, vermied Anzengruber genau dies. Vor allem aber schloss er die – in Innsbruck relativ gemäßigt auftretende – Stadt-FPÖ nicht als Partner aus. Für Jenny mitentscheidend für dessen Wahlsieg
Vor allem aber erwies sich der Ausschluss aus der ÖVP als Glücksfall. Dieser ermöglichte es Anzengruber, sich den Mantel des Anti-Establishment- und parteifreien Kandidaten umzuhängen und daraus die Geschichte eines Außenseiters zu basteln, obwohl er doch, wie Hayek anmerkt, sehr wohl schon bisher Teil des Establishments gewesen ist.
Die Wähler sind da, der ÖVP fehlt das Angebot
Als Obmann kann sich Nehammer schwer selbst ausschließen. Doch die Volkspartei muss sich fragen, ob sich in der derzeitigen Themen- und Stimmungslage Wahlen unter der Marke ÖVP gewinnen lassen.
Auch Parteimarken unterliegen Konjunkturschwankungen. Von daher sind solche Absetzbewegung weder neu noch auf die ÖVP beschränkt. Dennoch ist es bezeichnend, wenn mit Tursky sogar der offizielle Parteikandidat das Parteilogo zu verstecken versuchte. „Ich bezweifle, dass es eine nachhaltige Strategie ist, wenn die ÖVP nur noch als parteifreie Bürgerbewegung antritt, statt zu versuchen, die eigene Marke neu zu positionieren“, so die Politologin Hayek. Zumal die Innsbruck-Wahl ja gezeigt habe, dass es die konservativen Mitte-Wähler durchaus gibt. „Man muss ihnen nur ein attraktives Angebot machen.“
Für die Nehammer-ÖVP wird die Zeit dafür langsam knapp. Wobei zu bedenken ist: „Es gibt bei Wahlen kein Rezept, das immer funktioniert. Angesichts der vielen sich ständig ändernden Variablen ist dies Spieltheorie in Reinkultur“, so Jenny.