Bald wird es ernst mit Österreichs Teilnahme an der europäischen Luftverteidigungsinitiative Sky Shield. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) geht davon aus, dass konkrete Schritte zur Beschaffung von Waffensystemen schon bald erfolgen werden. Beim nächsten EU-Verteidigungsministerrat Ende Mai in Brüssel soll eine Absichtserklärung (Memorandum of Understanding/MoU) der beteiligten Staaten unterzeichnet werden, sagte Tanner bei einem Hintergrundgespräch in Wien.
Danach könnte die Beschaffung für Abwehrsysteme mittlerer und kurzer Reichweiten für Österreich „sehr rasch“ beginnen, zunächst mit Vertragsverhandlungen mit den Herstellern. Tanner nannte das Mittelstrecken-Luftabwehrsystem Iris-T der deutschen Firma Diehl Defence, es gebe aber durchaus auch andere Systeme. Die Luftwaffenchefs der einzelnen Sky-Shield-Staaten seien laufend im Austausch untereinander.
Der Chefplaner des österreichischen Bundesheeres und stellvertretende Generalstabschef, Generalleutnant Bruno Hofbauer, sagte, derzeit würden Rückmeldungen aus anderen EU-Staaten und aus den USA analysiert. „Mit Jahresmitte müssten wir so weit sein, dass wir sagen können, in diese Richtung gehen wir weiter.“ Eine Verfügbarkeit der Systeme mittlerer Reichweite erwartet Hofbauer nicht vor 2027/2028, da nach einer Beschaffungsentscheidung noch ein umfangreiches Vertragswerk gemacht werden müsse. Diese Luftabwehrsysteme mittlerer Reichweite seien im Aufbauplan des Bundesheeres mit zwei Milliarden Euro veranschlagt.
Video: So erklärt das Bundesheer Sky Shield
Für Systeme längerer Reichweiten rechnet Tanner mit weiteren bis zu vier Milliarden Euro, die bisher nicht im Budget enthalten sind. Eine Entscheidung für ein System oder einen konkreten Beschaffungszeitraum gibt es noch nicht. Dazu gebe es bisher einen Ministerratsvortrag und mehr als ein politisches Commitment, so Tanner. „Ich bin sicher, dass es keine politische Partei gibt, die einen Funken an Verantwortung hat, die nicht jetzt erkannt hat, dass wir auch für diese Reichweiten das Unabdingbare machen müssen.“ Tanner sprach zudem von 36 Systemen, die bereits unterschriftsreif seien. Die mobile Flugabwehr Skyranger, die auf „Pandur“-Panzer montiert wird, ist in der Investition von 1,8 Milliarden Euro von 225 „Pandur“-Panzer enthalten, die Anschaffung ist bereits unterzeichnet.
Aufholbedarf in der Luft
Durch die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten und in der Ukraine sei klar geworden, „dass wir im Bereich der Luftverteidigung Schritte rasch umsetzen müssen“, betonte Tanner. Israel habe 99 Prozent der Drohnen und Raketen aus dem Iran abgewehrt, „da haben wir sehr viel Aufholbedarf“, dies gelte aber nicht nur für Österreich, sondern auch für andere Armeen.
Gerade für einen neutralen Staat wie Österreich sei es notwendig, seinen Luftraum verteidigen zu können, sagte die Verteidigungsministerin. Österreich werde diesbezüglich im Gleichschritt mit der neutralen Schweiz vorgehen, die ebenfalls bei Sky Shield mit dabei ist. „Die Neutralität allein beschützt uns nicht“, so Tanner, die Welt sei „aus den Fugen“, es brauche auch ein gut ausgestattetes Bundesheer. Anders als Österreich hat sich die Schweiz bereits für den Ankauf des US-amerikanischen Patriot-Systems für die längeren Reichweiten entschieden. Kürzere Reichweiten-Systeme will die Schweiz erst nach 2030 einsatzbereit haben.
Sky Shield sei „unglaublich wichtig“ und die „Speerspitze für den Schutz unseres neutralen, wunderschönen Landes“, so Tanner. In Hinblick auf die FPÖ, die Sky Shield nicht mit der Neutralität vereinbar gesehen hatte, sagte sie, die Stimmen, die dies gemeint hätten, seien mittlerweile verstummt. Gerade als neutraler Staat sei es notwendig, diesen Schutzschirm über Österreich zu bauen.
Preishoch am Rüstungssektor
Das MoU, welches Ende Mai unterzeichnet werden soll – die belgische Ratspräsidentschaft hat das Treffen der EU-Verteidigungsminister für den 28. Mai angesetzt – sei noch keine Kaufentscheidung, sondern der letzte Schritt einer rechtlich unverbindlichen Erklärung, sagte Hofbauer. „Es öffnet die letzten Türen, damit die Industrie mit uns über alles sprechen kann, was wir wissen wollen. Erst danach können wir eine qualifizierte Beurteilung und eine Entscheidung durchführen.“
Auf die Frage, ob der direkte Angriff des Iran auf Israel die Nachfrage und somit auch die Kosten für Luftverteidigungssysteme in die Höhe treibe, sagte der Chefplaner des Bundesheeres: „Erstens gibt es eine erhöhte Nachfrage, das ist richtig. Es steigern sich aber auch gerade enorm die Industriekapazitäten. Wir gehen davon aus, dass sich die Preise 2027 bis 2029 einigermaßen stabilisiert haben werden. Derzeit haben wir schon ein All-Time-High, was die Rüstungsindustrie verlangen kann.“
Iranische Raketen reichen bis nach Österreich
Österreich könne die Stabilisierungsmaßnahmen in der Nahost-Region verstärken, etwa durch Fortsetzung der Teilnahme an internationalen Missionen, sagte der Generalsekretär und Generaldirektor der Verteidigungspolitik im Verteidigungsministerium, Arnold Kammel. Zweitens sieht er die Notwendigkeit, die Europäische Friedensfazilität – ein EU-Finanzierungsinstrument – nicht nur auf die Ukraine auszurichten. Der Nahe und der Mittlere Osten gewännen an Bedeutung. Ein Hauptaugenmerk solle auf dem Libanon liegen, um zu verhindern, dass dort die Lage eskaliert. Die Reichweite iranischer Lenkwaffen betreffe mittlerweile auch Österreich. Dies unterstreiche die Notwendigkeit einer glaubwürdigen Abwehr, die nur im europäischen Verbund gemeinsam gelingen könne.
Österreich habe im Libanon sein drittgrößtes Auslandskontinent des Bundesheeres nach Bosnien und dem Kosovo, sagte Tanner. Dies zeige, dass Österreich ein sehr glaubwürdiger Partner bei der europäischen Verteidigungsarchitektur sei. Es sei daher nicht fair, von Österreich als Trittbrettfahrer zu sprechen, so die Ministerin. Derzeit habe Österreich mehr Auslandssoldaten im Einsatz als etwa Deutschland.