Die Zeit droht der türkis-grünen Bundesregierung davonzulaufen: Mit Jahresende will – und wird wohl – die Ukraine den Transitvertrag mit der russischen Gasfirma Gazprom auslaufen lassen – angesichts des russischen Angriffskriegs ist das nachvollziehbar. Dann droht Österreich allerdings ein neuer Preisschub bei Gas, der auf die gesamten Energiekosten, die Inflation und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts durchschlägt. Angesichts dieses Ausblicks macht sich insbesondere in der Wirtschaft Unruhe breit.
Das Thema ist so kompliziert wie koalitionär umstritten: Derzeit bezieht die Republik rund 90 Prozent ihrer Gasimporte aus Russland. Bis 2027 wollen die EU-Staaten aus russischem Gas aussteigen. Doch das ist derzeit nur eine politische Willensbekundung, keine verbindliche und im Detail geregelte EU-Vorgabe.
Kommentar
Vergangene Woche hat nun Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) ihren Entwurf für eine Diversifizierungsverpflichtung für heimische Gasversorger vorgelegt. Mit der ÖVP abgestimmt ist dieser jedoch nicht. Darin soll der Gas-Import aus Russland bis 2027/28 schrittweise auf Null sinken und die Herkunft der Gasimporte nachweisen.
ÖVP: Gewessler muss Hausaufgaben erledigen
Am Freitag nun erteilte die ÖVP in Person ihrer Energiesprecherin Tanja Graf dem Entwurf Gewesslers eine offizielle Absage: „Wir brauchen hier eine Versorgungssicherheit und angemessene Preise.“ Beim Ausstieg und insbesondere bei der Zertifizierung der Gas-Herkunft fordert Graf ein gemeinsames EU-Vorgehen statt eines österreichischen Alleingangs.
Und was tun, um einen neuerlichen Preisschub möglichst zu verhindern? Hier sieht Graf die grüne Energieministerin gefordert, Gewessler müsse ihre Hausaufgaben machen. Als dringlich nennt die ÖVP-Politikerin hier: ein Schnellverfahren für den Ausbau der West-Austria-Pipeline nach Deutschland (WAG-Loop), den Kampf gegen die – aus heimischer Sicht EU-rechtswidrige – deutsche Gasumlage in Brüssel sowie eine konsequente Umsetzung der Grünes-Gas- und Wasserstoff-Strategie.
Ungarn und die Slowakei stehen mit Blick auf den ukrainischen Transitvertrag vor einem ähnlichen Dilemma wie Österreich. Deshalb verhandeln die beiden EU-Staaten mit Kiew über alternative Lösungen, etwa mit dem Ziel, dass eine europäische Firma statt der russischen Gazprom als Vertragspartner in Sachen Gastransit auftritt, zumal ja nicht zwingend ausschließlich russisches Gas über diese Pipelines gen Westen fließen muss. Doch auch hier sei Gewessler laut Graf säumig.
Viel Zeit für eine Einigung bleibt der Koalition allerdings nicht mehr, wird doch im Herbst ein neuer Nationalrat gewählt. Zudem braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, weil Energie eine Ländermaterie ist.