Die wenigen, allerdings wenig zuverlässigen Umfragen vor der Innsbruck-Wahl ließen schon nichts Gutes erahnen für die Kanzlerpartei. Das Ergebnis am Wahlabend war dann jedoch noch schlimmer. Die traditionell von Grabenkämpfen geplagte Innsbrucker ÖVP wollte dieses Mal geeint und mit einem Hoffnungsträger die Landeshauptstadt für die Bürgerlichen zurückerobern. Doch Florian Tursky, der für diese Mission extra sein Amt als Staatssekretär für Digitalisierung in Wien aufgegeben hatte, landete mit 10,2 Prozent auf dem blamablen fünften Platz.
Bei der Analyse konkurrieren zwei Denkschulen um die Lufthoheit. Die eine, eher ÖVP-freundliche sieht primär lokale Besonderheiten am Werk, allen voran eine seit jeher zerklüftete Parteienlandschaft, was insbesondere auch für das bürgerliche Lager gilt. Daran hätte, so wird hier argumentiert, auch Rückenwind vom Bund wenig ändern können. Das ist nicht ganz falsch – siehe 13 Listen und den Ex-ÖVPler Johannes Anzengruber, der mit einer eigenen Liste Platz zwei eroberte. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit.
Zu dieser gehört eben auch, dass in Innsbruck – im Übrigen auch bei den Wahlen in der Stadt Salzburg im März – zwar außergewöhnliche Umstände bestehen, doch die massiven Stimmenverluste sich in den vergangenen zwei Jahren sehr wohl zu einem Stimmungsbild zusammenfügen: In ihrem schwarzen Kernland Niederösterreich verlor die ÖVP 9,7, in Salzburg 7,7 und in Tirol 9,5 Prozentpunkte. Allein in Kärnten schaffte die ÖVP ein Plus von zarten 1,6 Prozentpunkten. Und in Umfragen rangiert die Kanzlerpartei bereits länger auf Platz drei bei knapp über 20 Prozent und hinter FPÖ und SPÖ.
Für die ÖVP geht es um viel, ja fast um alles
Das wirft die Frage auf: Wie beschädigt ist die ÖVP in ihrem politischen Markenkern rund zweieinhalb Jahre, nachdem ihr ehemaliger Shootingstar Sebastian Kurz wegen juristischer Ermittlungen und dem Druck des grünen Koalitionspartners im Herbst 2021 zurücktreten musste? Hat Bundeskanzler und Parteichef Karl Nehammer noch die Chance und das Potenzial, das Ruder herumzureißen – oder sind auch für die vier ausstehenden Wahlen die Niederlagen bereits in Stein gemeißelt. Zur Erinnerung: Neben der EU- und der Nationalratswahl werden im Herbst auch in der Steiermark und Vorarlberg die Karten neu gemischt. Für die ÖVP geht es also um sehr viel, und einige meinen sogar: um alles.
Dass die Partei in einem Dilemma steckt, macht einen Ausweg nicht leichter: Ein Bruch mit der Ära und Person von Kurz würde die Partei im Wahlkampf lähmen, weil zu viele ihrer Mandatare und Funktionäre dessen Sturz für ein gegnerisches Komplott erachten. Gleichzeitig verhindert die ungebrochene Lust ihres ehemaligen Obmanns an öffentlichen Auftritten eine wenigstens schleichende Emanzipation. Und dann sind da natürlich noch die laufenden Ermittlungen und Verfahren, die wie ein dunkler Schatten den türkisen Höhenflug verfolgen.
Sicherheit darüber, wie es der ÖVP tatsächlich geht, wird erst die EU-Wahl am 9. Juni bringen. Dann werde sich zeigen, wie kampagnenfähig die Nehammer-Partei nach etlichen Rohrkrepierern – von der Leitkultur bis zur neuen Normalität – ist und ob sie in den Umfragen unter- und die FPÖ überbewertet ist. Dafür gibt es durchaus Hinweise. Tatsächlich ist das eine der beiden verbliebenen Hoffnungen. Die andere ist, dass Nehammer in der direkten – und persönlichen – Konfrontation mit seinen Konkurrenten Herbert Kickl und Andreas Babler, den Chefs von FPÖ und SPÖ, an politischer Kontur und Statur gewinnt, wenn es um den Kanzler geht. Auch deshalb setzt die ÖVP schon jetzt alles auf einen Persönlichkeitswahlkampf.
Und falls nicht? Dann müsse sich die Partei dem eben stellen, sagt ein ehemals hochrangiger Schwarzer. Immerhin: Die Partei ist nach außen geschlossen. Das hat sie zumindest der SPÖ voraus. Am Montag hat Tursky sogar eine Wahlempfehlung für den Abtrünnigen ÖVPler Johannes Anzengruber abgegeben. Dessen Stimmen will man nicht kampflos aufgeben.