Seit Ende März sitzt Egisto Ott wegen Spionageverdachts in Untersuchungshaft. Sein ehemaliger Vorgesetzter im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Martin Weiss, dürfte dagegen in Dubai untergetaucht sein. Dabei war er 2021 als mutmaßlicher Fluchthelfer für Jan Marsalek bereits festgenommen, wenige Tage später aber wieder enthaftet worden.
Während Ott im BVT als einfacher Kriminalbeamter wirkte, war Weiss Chef der Abteilung „Informationsbeschaffung und Ermittlung“. Die Staatsanwaltschaft Wien sieht in ihm den „Ansprechpartner und Auftraggeber“ für Ott, wie in dessen Festnahmeanordnung festgehalten wird. Der frühere Spionageabwehrchef war am 22. Jänner 2021 festgenommen worden, weil es Indizien gab, denen zufolge Weiss nach Auffliegen der Wirecard-Pleite Marsaleks überstürzte Flucht vom Flughafen Bad Vöslau Richtung Russland mitorganisiert hatte.
Wie das Ende von Wirecard und die Spionageaffäre zusammenhängen
Bei Vernehmungen gab Weiss bereits damals zu, von Ende 2018 bis 2020 in 25 Fällen personenbezogene Daten und Überprüfungen für Marsalek angeordnet und mit deren Durchführung Ott beauftragt zu haben. Zwei Tage nach seiner Festnahme wurde Weiss aber wieder auf freien Fuß gesetzt, wobei er zusicherte, für weitere Vernehmungen zur Verfügung zu stehen und allfälligen Vorladungen Folge zu leisten. Dem kam er allerdings nicht mehr nach. Er reiste, offenbar mit Unterstützung Marsaleks, nach Dubai. Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es kein Auslieferungsübereinkommen.
Wie die im Vorjahr vom britischen Geheimdienst sichergestellten Chats zeigen, rühmte sich Marsalek gegenüber einem bulgarischen Mittelsmann, Weiss zur Flucht verholfen zu haben. „Ich habe es gerade geschafft, meinen österreichischen Mann nach Dubai zu evakuieren. Das war auch ein ziemliches Abenteuer. Wir waren besorgt, dass sie ihn am Flughafen wieder verhaften würden“, schrieb Marsalek am 22. Februar 2021 in den Chats, die der „AG Fama“ aus London übermittelt worden waren.
Weiss sagte 2022 in München aus
Diese Ermittlungsgruppe aus Beamten des Bundeskriminalamts und des Bundesamts für Korruptionsbekämpfung und Korruptionsprävention (BAK) wurde Ende Juli 2020 im Innenministerium eingerichtet, um die dubiosen Vorgänge im BVT und in der Causa Wirecard zu beleuchten. In einem Bericht hält die „AG Fama“ fest, dass Weiss keine Bereitschaft gezeigt habe, „aus seinem Aufenthaltsort in Dubai Vorladungen zu Beschuldigtenvernehmungen als auch gesondert geführten Gerichtsverfahren Folge zu leisten“.
Andererseits sei Weiss jedoch am 4. April 2022 „ohne Einbindung oder Kenntnis österreichischer Polizei- oder Justizdienststellen einer Ein- oder Vorladung zur ausführlichen Beschuldigtenvernehmung“ vor der Staatsanwaltschaft München erschienen und habe „aktuelles Wissen über den Aufenthaltsort oder Kontakte zu Jan Marsalek in Abrede gestellt“. Darüber hatte das Nachrichtenmagazin „profil“ in seiner jüngsten Ausgabe berichtet.
Weiss entzog sich Prozess in Wien
Einem Prozess gegen Weiss und andere ehemalige BVT-Beamte blieb der ehemalige BVT-Chef im Vorjahr – vorgeblich aus gesundheitlichen Gründen – fern. Dabei ging es um den Vorwurf, das BVT habe für den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad einen General der syrischen Staatssicherheit in Österreich untergebracht und diesem trotz Fehlens der rechtlichen Voraussetzungen Asyl verschafft – ungeachtet dessen, dass dem General die Mitverantwortung für Folterungen von Gegnern des syrischen Regimes zugeschrieben wurden. Mit der konkreten Planung und operativen Umsetzung des Ganzen soll Weiss per rechtswidriger Weisung einen ihm untergebenen Referatsleiter betraut haben.
Der aus seiner Heimat geflüchtete Offizier des syrischen Staatssicherheitsdienstes wurde tatsächlich am 13. Juni 2015 vom BVT an der österreichischen Grenze in Empfang genommen, mit einem Dienstfahrzeug nach Wien chauffiert und in ein Quartier gebracht. Bereits zwei Tage später stellte der General im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen einen – vorab arrangierten – Asylantrag. Der Verhandlung ab 14. April des Vorjahres zu dieser Operation „White Milk“ entzog sich Weiss. Die Mitangeklagten wurden rechtskräftig freigesprochen. Das Gericht prüfte damals das Gutachten, wonach Weiss verhandlungs- und transportunfähig sei, und kam zum Schluss, dass die angegebenen postoperativen Beschwerden dafür nicht ausreichten. Danach verwies Weiss auf seine angeschlagene psychische Gesundheit, dem Ersuchen, dies näher zu erläutern, wurde aber nicht mehr entsprochen. Schließlich brach der Kontakt zu Weiss ab, er soll nicht mehr erreichbar sein. Sein Anwalt, der ihn in Causa „White Milk“ vertreten hatte, hat im Vorjahr das Vollmachtsverhältnis gelöst.
Wirkte Ott bei parlamentarischer Anfrage für FPÖ mit?
Die Causa „White Milk“ schlägt nun auch bei Egisto Ott auf. Wie die „Kronen Zeitung“ berichtet, soll auf dem Handy Otts eine bearbeitete parlamentarische Anfrage zu dieser Operation entdeckt worden sein, die letztlich von der FPÖ am 7. Oktober 2020 eingebracht wurde. Auch dabei geht es um den mutmaßlichen syrischen Folter-General. Offenbar, so zitiert die „Krone“ aus dem Akt, wurden in das Dokument seitens Ott Änderungsvorschläge (ergänzte Passagen und zusätzliche Fragen in roter Farbe) eingebracht.
Die Anfrage war 2020 von FPÖ-Nationalrat und Generalsekretär Christian Hafenecker eingebracht worden. Dieser sprach gegenüber der „Krone“ von 460 parlamentarischen Anfragen seit Beginn dieser Gesetzgebungsperiode. „Dass in die Erarbeitung der Anfragen auch Dritte eingebunden sind, ist ein normaler Vorgang, zumal häufig Missstände thematisiert werden, die von außen an uns herangetragen werden.“ Dass Ott allem Anschein nach an einer dieser Anfragen mitgewirkt habe, sei ihm „nicht bekannt“.
In der Anfrage wird nach einzelnen Beamten des BVT gefragt, „inwiefern diese involviert“ waren. Etwas anderes die parlamentarische Nachfrage zu „M. W.“, also Martin Weiss: „Warum wurde der damals zuständige Abteilungsleiter laut Akt erst nach der Genehmigung der Kooperation mit der Stelle 5 informiert, sodass er in die Entscheidungsfindung gar nicht eingebunden war?“ Eine Antwort des damaligen Innenministers Karl Nehammers gab es nicht. Er verwies nur auf den vertraulichen „Ständigen Unterausschuss des Ausschusses für innere Angelegenheiten“.