Nach der Festnahme des Ex-BVT-Mitarbeiters Egisto Ott, der sich seit Montag wegen Spionage-Verdachts in U-Haft befindet, kristallisiert sich immer mehr heraus, wie eng verzahnt der nach Moskau geflüchtete Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek mit dem russischen Inlandsgeheimdienst sein dürfte. Das machen nun bekannt gewordene Chats mit einem inzwischen in Großbritannien inhaftierten Bulgaren deutlich, der eine mehrköpfige, für Russland tätige Spionage-Zelle angeführt haben soll.
Den Männern bulgarischer Herkunft wird von den britischen Strafverfolgungsbehörden vorgeworfen, von August 2020 bis Februar 2023 für russische Geheimdienste gleichermaßen geheime wie nützliche Informationen gesammelt sowie in Großbritannien und anderen europäischen Ländern Personen ausgekundschaftet zu haben. Mit dem mutmaßlichen Chef dieser bereits zur Anklage gebrachten Gruppierung, der 2009 nach Großbritannien übersiedelt war und der als ausgewiesener Spezialist für Abhörtechniken gilt, tauschte sich Marsalek rege aus. So berichtete Marsalek von einer Schießübung „mit den Alfa-Jungs“, einer Spezialeinheit des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB. Auch über „aktive Maßnahmen“ gegen den russlandkritischen Investigativjournalisten Christo Grozev unterhielten sich Marsalek und sein Gesprächspartner.
Russischer Kreml-Kritiker in Marsaleks Visier
Grozev lebte bis Anfang 2023 in Wien. Er hatte zu den Giftanschlägen auf Sergei Skripal und Alexej Nawalny recherchiert, im Dezember 2022 setzte ihn das russische Innenministerium auf eine Fahndungsliste, im Februar 2023 übersiedelte Grozev aus Sicherheitsgründen in die USA. Mittlerweile gilt als gesichert, dass Grozev einer von mindestens 309 Betroffenen war, für die Marsalek illegale Abfragen aus Polizeidatenbanken tätigen bzw. vertrauliche, der Verschwiegenheit unterliegende Informationen einholen ließ. Marsalek, der nach seiner geglückten Flucht nach Moskau mit neuen Identitäten ausgestattet worden sein soll und seither geheimdienstliche Tätigkeiten für Moskau verrichten dürfte, soll sich dazu ausgerechnet zweier ehemaliger Mitarbeiter des heimischen Verfassungsschutzes bedient haben.
Unter den 309 Personen war auch der österreichische Journalist Max Zirngast. Er sei zum Teil darüber informiert worden, dass Abfragen über ihn gemacht worden waren, noch bevor der „Spiegel“ Anfang März darüber berichtete hatte, sagte Zirngast am Dienstag im Gespräch mit der APA. Als er den Artikel des deutschen Nachrichtenmagazins gelesen habe, habe er nur geschmunzelt. „Es ist mir ziemlich wurscht. Im Vergleich zu dem, was türkische Geheimdienste machen, ist das relativ fad“, meinte Zirngast, der zu der Zeit, als die Abfragen gemacht wurden, in der Türkei inhaftiert war. Zum Inhalt der Abfragen und welche Informationen weitergegeben wurden, wollte er sich aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens nicht äußern.
Den ehemaligen Spionageabwehrchef des mittlerweile aufgelösten Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Martin Weiss, soll Marsalek bereits 2015 kennengelernt haben, der international bestens vernetzte Ex-BVT-Mitarbeiter Egisto Ott soll seit 2017 auf geheime Datenbanken zugegriffen und sogar im Rechtshilfeweg aus Italien und Großbritannien Informationen für Marsalek bzw. Russland beschafft haben. In Chats mit dem in Großbritannien agierenden mutmaßlichen Agenten nannte Marsalek Martin Weiss „unseren Freund“, dessen „Evakuierung“ nach Dubai er organisiert habe. Weiss, der sich seit dem Vorjahr in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufhalten dürfte, soll für Egisto Ott „Ansprechpartner und Auftraggeber“ in Bezug auf Tätigkeiten für Marsalek gewesen sein.
Marsalek als Fluchthelfer für ehemalige BVT-Beamte
Marsalek soll gemeinsam mit dem Chef der britischen Spionage-Zelle in Diensten Russlands die Beschaffung von drei Diensthandys von ranghohen damaligen Kabinettsmitarbeitern des Innenministeriums organisiert haben, deren Geräte 2017 bei einem Bootsausflug ins Wasser gefallen waren. Die Daten sollten gerettet werden, was misslang. Die Handys landeten in weiterer Folge über einen Polizisten bei Ott, der sie in der Wohnung eines Verwandten in Wien-Floridsdorf bereitstellte. Dort wurden sie am 10. Juni 2022 von Männern im Auftrag Marsaleks abgeholt und sollen zwecks Auswertung nach Moskau verbracht worden sein. Russland hatte knapp vier Monate zuvor die Ukraine überfallen.
Auf den Handys befanden sich laut Ermittlungsakt dem Amtsgeheimnis unterliegende sensible dienstliche und private Daten der Spitzenbeamten des Innenressorts. Für Russland von erheblichem Interesse dürften auch mehrere SINA-Laptops gewesen sein, von denen bisher nicht geklärt ist, wie diese in den Besitz Otts gelangt waren. Auf ihnen sollen sich der Geheimhaltung unterliegende, hochsensible Daten eines EU-Staates befunden haben. SINA steht für Sichere Inter-Netzwerk Architektur, mit der die Übertragung und Verarbeitung von schützenswerten Informationen in unsicheren Netzen möglich ist. Die seit 2000 entwickelte SINA-Produktfamilie enthält die einzigen vom deutschen Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bis zum höchsten nationalen Einstufungsgrad („Streng geheim“) zugelassenen IP-basierten Kryptosysteme. Schwerpunkt ist dabei der Schutz von elektronischen Informationen vor unberechtigten Zugriffen.
Einen dieser Laptops sollen mit falschen Pässen ausgestattete russische Agenten am 19. November 2022 in der Wohnung von Otts Verwandtem abgeholt und über Istanbul nach Russland geschafft haben, und zwar direkt zum Sitz des FSB in Moskau. Dafür sollen 20.000 Euro bezahlt worden sein, wobei Marsalek das Geld von Berlin nach Wien bringen ließ, wie sich aus den Chats ergibt.